Nur diese Aphorismen anzeigen

Es gibt 8 Nummer in «Im Zwiegespräch mit dem Herrn» deren Stichwort lautet Berufung.

»Emitte lucem tuam et veritatem tuam«1 – sende, Herr, Dein Licht und Deine Wahrheit.

Meine Kinder, Christus nachzufolgen ist unsere Berufung – »venite post me et faciam vos fieri piscatores hominum«2. Ihm so sehr aus der Nähe zu folgen, wie die ersten Zwölf; so sehr, dass wir mit Ihm einswerden, dass wir sein Leben führen, so dass, wenn wir keine Hindernisse aufgerichtet haben, der Augenblick kommt, da wir mit dem heiligen Paulus sagen können: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir«3.

Welch große Freude, ganz in Gott einzutauchen! Vergöttlicht zu werden! Und gleichzeitig welche Freude, die ganze Nichtigkeit, das ganze Elend, die ganze Schwäche unserer armen irdischen Natur zu spüren, mit ihren Mängeln, mit ihren Fehlern! So kommt es, dass wir, wenn Christus zu uns wie zu den Ersten in Gleichnissen spricht, Ihn oft nicht verstehen und uns die Bitte der Apostel zu eigen machen müssen: »edissere nobis parabolam!«4 – Herr, erkläre uns das Gleichnis.

Kinder meiner Seele, ich möchte euch über einen wunderbaren Weg zu einem Leben der Liebe und des übernatürlichen Abenteuers führen, in das der Herr mich selbst geleitet hat: in ein Leben der Glückseligkeit – mit Opfern, Schmerzen, Verzicht, Hingabe und Selbstvergessenheit.

»Si quis vult post me venire … wenn jemand mir nachfolgen will, dann verleugne er sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.«11 Wir alle haben diese Worte gehört. Deswegen sind wir hier. Und auch die folgenden Worte haben wir vernommen: »Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt.«12 Der göttliche Ruf hat einen sehr konkreten Zweck: an allen Wegkreuzungen der Erde zugegen zu sein, während du fest in Gott verankert bist. Salz, Sauerteig und Licht der Welt sein. Ja, mein Sohn: Sei ganz in Gott versenkt, um zu leuchten, um Geschmack zu geben und Gewicht zu verleihen, um Sauerteig zu sein.

Aber das Licht wird Finsternis sein, wenn du nicht kontemplativ, wenn du nicht ein Mensch ständigen Gebetes bist. Das Salz wird seine Kraft verlieren; es wird nur mehr dazu taugen, von den Menschen zertreten zu werden, wenn du nicht versunken bist in Gott. Der Sauerteig wird verderben und seine Kraft, den ganzen Teig zu durchsäuern, verlieren, wenn du nicht wirklich beschaulich bist.

Bete die mündlichen Gebete, die zu unserem geistlichen Lebensplan gehören. Wende dich dann mit deinen persönlichen mündlichen Gebeten, die dir am meisten zur Frömmigkeit verhelfen, an Gott. Beschränke dich nicht auf das, was wir alle zu leben haben und mit Freude verrichten. Füge hinzu, wozu dich deine Initiative und deine Großzügigkeit bewegen. Vergiss schließlich nicht das beständige innere Gebet. Bemühe dich um dieses vertrauensvolle und aufrichtige Zwiegespräch mit Gott inmitten deiner Seele.

Mein Sohn, ich habe dir wohl alles gesagt, was ich dir sagen sollte. Jetzt bleibt nur noch, dass du dich wirklich entscheidest, ein Mensch zu sein, der sich hingibt, der verliebt ist und einen ständigen Umgang mit Gott pflegt. Dann bin ich mir deiner Treue ganz sicher.

So schließe ich mit drei Zitaten aus der Heiligen Schrift:

»Oportet semper orare et non deficere«13: Man muss immer beten, ohne Unterlass.

»Erat pernoctans in oratione Dei«14: Christus verbrachte die ganze Nacht im Gespräch mit Gott.

»Erant autem perseverantes in doctrina apostolorum, et communicatione fractionis panis, et orationibus«15: Die ersten Christen verharrten in der Lehre der Apostel, in der Gemeinschaft des Brotbrechens und im Gebet.

Wir wollen jetzt mit zwei Texten der Heiligen Schrift fortfahren, meine Kinder, der eine stammt vom heiligen Lukas, der andere vom heiligen Johannes. Der Herr hat seine ersten Jünger bei Booten und Netzen gefunden, und oft hat Er die Arbeit mit den Seelen mit der Arbeit der Fischer verglichen.

Erinnerst du dich an jenen wunderbaren Fischfang, bei dem die Netze zerrissen?3 Auch bei der apostolischen Arbeit reißt wegen unserer Unvollkommenheit manchmal das Netz. Der Fischfang ist zwar reichlich, aber nicht so groß, wie er hätte sein können.

Auf diesen apostolischen Fischfang, der auf alle Seelen abzielt, könnten wir jenen Text des heiligen Matthäus beziehen, der von einem Netz spricht, das, ins Meer geworfen, Fische sehr unterschiedlicher Art fängt4, Fische aller Größen und verschiedenster Qualität, denn in seinen Maschen hat alles Platz, was in den Wassern des Meeres schwimmt. Dieses Netz reißt nicht, mein Sohn, denn weder du noch ich, sondern unsere gute Mutter, das Werk, hat sich ans Fischen gemacht.

Aber ich wollte jetzt gar nicht von diesem Fischfang und von diesem riesigen Netz sprechen. Ich möchte vielmehr, dass du an das Netz denkst, von dem der heilige Johannes im 21. Kapitel spricht, als Simon Petrus ein Netz an Land zog und Jesus zu Füßen legte, das »mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen gefüllt«5 war. In dieses Netz mit den großen, erlesenen Fischen hat dich Christus kraft der überragenden Gnade der Berufung gesteckt. Vielleicht hat Ihn ein Blick seiner Mutter so gerührt, dass Er dir durch die unbefleckten Hände der Jungfrau Maria diese großartige Gabe zukommen ließ.

Meine Kinder, schaut, wir befinden uns alle im selben Netz. Und das Netz befindet sich im Boot, das das Opus Dei ist, in dem man Demut, Hingabe, Arbeit und Liebe den ihnen gebührenden Platz gibt. Ist das nicht herrlich? Hast du das vielleicht verdient?

Das ist der Moment, um nochmals zu sagen: Ich will mich ins Boot setzen lassen, ich werde mich zurechtschneiden, zerlegen, zerteilen, abschleifen, verspeisen lassen! Ich gebe mich ganz hin! Sage Ihm das in aller Wahrheit! Manchmal entsteht der Eindruck, dass du, wenn man dir einen Hinweis gibt, um dir auf deinem Weg der Heiligung zu helfen, aus Stolz rebellierst. Denn du schätzt dein eigenes Urteil höher ein als das Urteil der Leiter, obwohl das nicht stimmen kann, weil niemand ein guter Richter in eigener Sache ist und der liebevolle Hinweis deiner Brüder als Zurechtweisung dich stört …

Gib dich hin! Verschenke dich ganz! Aber sage Jesus Christus: Da ist diese alte Erfahrung mit dem Stolz! Herr, mache mich demütig! Und Er wird dir antworten: Wenn du demütig sein willst, dann pflege Umgang mit mir. Dann wirst du mich erkennen und wirst dich erkennen. Erfülle die Frömmigkeitsnormen, die ich dir durch deinen Gründer gegeben habe. Beherzige diese Normen. Sei treu in deinem inneren Leben, sei eine Seele des Gebetes, eine Seele des Opfers. Und allen Hindernissen, an denen es in diesem Leben nicht fehlt, zum Trotz werde ich dich glücklich machen.

Mein Sohn, setze dein ganz persönliches Gebet fort, das nicht das Geräusch der Sprache braucht. Sprich mit dem Herrn von Angesicht zu Angesicht, du und Er allein. Das Gegenteil ist sehr bequem. In der Anonymität trauen sich die Leute tausend Dinge zu, die sie allein nicht wagen würden. So mancher verschüchterte Feigling zögert nicht, wenn er sich inmitten der Menge befindet, eine Handvoll Schlamm zu packen und jemanden damit zu bewerfen. Ich wünsche mir, dass du, mein Sohn, in der Einsamkeit deines Herzens, das ja in Wirklichkeit alles andere als einsam ist, deinem Vater Gott unter die Augen trittst und Ihm sagst: Ich gebe mich hin!

Sei kühn, sei tapfer, sei mutig! Fahre fort mit deinem persönlichen Gebet und gib Ihm dein Wort: Herr, nie wieder! Nie wieder dieses Zögern, dieses Schwierigkeiten-Vorschieben, dieser Widerstand gegen Deine Gnade. Ich möchte der gute Sauerteig sein, der den ganzen Teig durchsäuert.

Möchtest du, dass wir uns jetzt weiter mit den Stellen der Heiligen Schrift beschäftigen, in denen wir die Apostel bei ihren Netzen und ihren Booten antreffen? Möchtest du, dass wir uns an ihrem Tun beteiligen und aus dem Munde Christi selbst die göttliche Lehre vernehmen?

»Er sagte zu Simon: Fahrt hinaus auf den See und werft eure Netze zum Fang aus! Simon antwortete Ihm: Meister, wir haben uns die ganze Nacht abgemüht und nichts gefangen.«6 Mit diesen Worten gestehen die Apostel ihre Ohnmacht ein. Eine ganze Nacht lang hatten sie gearbeitet und keinen einzigen Fisch gefangen. Das passiert auch dir und mir. Wir sind arme Menschen, die hochmütig sind. Wenn wir allein arbeiten möchten, wenn es nach unserem Willen gehen soll, wir uns vom eigenen Urteil leiten lassen, dann heißt das Ergebnis, das wir erzielen: Unfruchtbarkeit.

Aber hören wir Petrus weiter zu: »Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen.«7 Und auf einmal ist das Meer voll, ja übervoll von Fischen, so dass die anderen Boote zu Hilfe kommen müssen, um die Menge Fische einzuholen. Siehst du? Wenn du dein Nichts und deine Unwirksamkeit zugibst und dich leiten lässt, statt dich auf das eigene Urteil zu verlassen, wirst nicht nur du wunderbare Früchte ernten, sondern werden auch die anderen aus deiner Fülle überreiche Früchte empfangen. Wieviel Gutes und wieviel Böses kannst du tun! Gutes, wenn du demütig bist und dich mit Freude und Opfergeist hinzugeben weißt; Gutes für dich und für deine Brüder, für die Kirche, für diese gute Mutter, das Werk. Und wieviel Böses, wenn du dich von deinem Hochmut leiten lässt. Dann wirst du sagen müssen: »Nihil cepimus!«8, nichts habe ich zustande gebracht! In der Nacht, in vollkommener Dunkelheit.

Mein Sohn, du bist vielleicht noch jung. Bei mir jedoch gibt es mehr Dinge, für die ich den Herrn um Verzeihung bitten muss, obwohl auch du deine verborgenen Winkel haben wirst, deine Niederlagen, deine Erfahrungen … Sage Jesus, dass du »wie der Ton in der Hand des Töpfers«9 sein willst, um gefügig und widerstandslos jene Formung anzunehmen, die das Werk dir auf mütterliche Weise zukommen lässt.

Ich sehe, dass du guten Willens bist und den echten Wunsch hast, heilig zu werden. Aber ich möchte dich daran erinnern, dass es, um heilig zu werden, erforderlich ist, dich in der Glaubenslehre gut auszukennen. Ferner müssen wir verstanden haben, die entsprechende Zeit an den entsprechenden Orten darauf zu verwenden, Kopf und Herz, das heißt dem ganzen Leben, das nötige Rüstzeug mitzugeben, um weiterhin mit Christus und den ersten Zwölf Seelenfischer zu sein.

Wir denken an unser Elend und halten uns vor Augen, wie oft wir wegen unseres Hochmuts gescheitert sind. Und vor der Majestät dieses Gottes, vor Christus, dem Fischer, müssen wir dasselbe sagen wie der heilige Petrus: »Herr, ich bin ein Sünder.«10 Dann wird Jesus Christus dir und mir dasselbe wiederholen, was er damals zu Simon Petrus gesagt hat: »Von nun an wirst du Menschen fangen«11, mit göttlichem Auftrag, mit göttlicher Sendung, mit göttlicher Wirksamkeit.

In diesem Meer der Welt befinden sich mitten in den aufgewühlten Wogen sehr viele Seelen. Aber höre die Worte des Jeremias: »Seht, ich hole viele Fischer – euch und mich –, die sollen sie fangen«12, mit dem Verlangen, alle Seelen zu retten, mit göttlicher Sorgfalt.

Werdet ihr, wirst du, mein Sohn, das Wirken Jesu behindern, oder wirst du es erleichtern? Setzt du dein Glück aufs Spiel, oder möchtest du treu sein, dem Willen des Herrn entsprechen und voll Wirksamkeit als Menschenfischer mit einer göttlichen Sendung über alle Meere fahren? Los, mein Sohn, auf zum Fischfang!

Ich schließe unser Gebet mit denselben Worten, mit denen ich es begonnen habe: Du bist der Sauerteig, der den ganzen Teig durchsäuert. Lass dich zubereiten. Vergiss nicht, dass du mit der Gnade deiner Berufung und mit deiner Hingabe, die die Antwort auf diese Gnade ist, kleine Hefe, kleiner Sauerteig sein kannst und dass du bewirken kannst, dass die ganze Masse der Menschen durchsäuert wird. Du stehst dabei unter dem Schutzmantel unserer Mutter, der heiligen Maria, die es stets verstanden hat, dich inmitten der Wogen zu behüten. Du bist unter dem Schutz und Schirm unserer himmlischen Mutter und wirst ebenfalls jene Sehnsucht erfahren, die mich schreiben ließ: omnes – alle!, keine einzige Seele darf verlorengehen! –, omnes cum Petro ad Iesum per Mariam!

Die Menschen, von denen das Evangelium berichtet, folgten Ihm, weil sie die Wunder und Heilungen, die Jesus wirkte, gesehen hatten. Ihr und ich – weshalb folgen wir dem Herrn? Jeder muss sich diese Frage stellen und eine ehrliche Antwort suchen. Und wenn du dich gefragt und in der Gegenwart Gottes eine Antwort gefunden hast, dann sage innig Dank, denn mit Christus sein heißt, sich sicher sein zu können. Sich in Christus wiedererkennen heißt, jeden Tag besser sein können. Mit Christus Umgang haben heißt notwendigerweise, Christus lieben. Und Christus lieben heißt, sich die ewige Glückseligkeit sichern, die ganz und gar erfüllte Liebe ist und die die beglückende Schau der Heiligsten Dreifaltigkeit einschließt.

Doch zunächst, meine Kinder, habe ich gesagt, dass ich euch nicht eine Betrachtung halten, sondern nur Punkte für euer persönliches Gebet nennen würde. Betrachte das nun für dich, mein Sohn. Warum bist du mit Christus im Opus Dei? Seit wann spürst du die Anziehungskraft Jesu Christi? Warum? Wie hast du von Anfang an bis jetzt darauf reagiert? Wie hat dich der Herr mit seiner Liebe ins Werk gezogen, damit du ganz in seiner Nähe bist und innigen Umgang mit Ihm hast?

Und du – wie hast du darauf reagiert? Was tust du deinerseits, damit diese innige Vertrautheit mit Christus nicht verlorengeht und deine Brüder sie nicht verlieren? Woran denkst du, seit du alle diese Bindungen eingegangen bist? An dich oder an die Ehre Gottes? An dich oder an die anderen? An dich, an deine Dinge, an deine Belanglosigkeiten, an deine Erbärmlichkeiten, an deine Regungen des Hochmuts, an deine Wallungen der Sinnlichkeit? Woran denkst du gewöhnlich? Betrachte das, und dann lass das Herz auf den Willen und den Verstand wirken.

Schau, ob der Herr an dir nicht viel mehr getan hat, als Kranke zu heilen. Schau, ob Er unseren Augen, die unfähig waren, seine Großtaten zu schauen, nicht die nötige Sehkraft gegeben hat. Schau, ob Er unseren Gliedern, die nicht imstande waren, sich mit übernatürlichem Sinn zu regen, nicht Kraft geschenkt hat. Schau, ob Er uns nicht wie den Lazarus auferweckt hat, weil wir tot waren für das Leben Gottes. Muss man da nicht laut rufen: »Laetare, Ierusalem«2? Muss ich euch da nicht sagen, »gaudete cum laetitia, qui in tristitia fuistis, freut euch, die ihr traurig wart«3?

Vor diesem Hintergrund müssen wir dem Herrn danken für die unverdiente Gabe der Berufung. Wir versprechen Ihm, dass wir sie täglich höher schätzen, sie wie den kostbarsten Edelstein, den unser Vater Gott uns schenken konnte, behüten wollen. Gleichzeitig begreifen wir einmal mehr, dass, solange wir diesen Leitungsauftrag ausüben, den das Werk uns übertragen hat, unser Verlangen besonders darauf gerichtet sein muss, nach der Heiligkeit zu streben, um die anderen zu heiligen – ihr eure Brüder, ich meine Kinder. »Denn Gott hat uns nicht zur Unreinheit berufen, sondern zur Heiligkeit.«4

So wollte der Herr, dass unser Werk entstünde, Kinder meiner Seele. So reifte der Geist des Opus Dei heran: durch die Betrachtung eurer und meiner Nichtigkeit und seiner Größe; im Bewusstsein, dass wir nichts sind und Er alles ist; dass wir nichts vermögen und Er alles vermag; dass wir nichts wissen und Er die Weisheit ist; dass wir schwach sind und Er die Stärke ist: »quia Tu es, Deus, fortitudo mea!«19

Bisweilen wird es angebracht sein, dass ihr in Ruhe die göttlichen Worte betrachtet, welche die Seele mit Furcht erfüllen und Duft von Honigwaben hinterlassen: »redemi te, et vocavi te nomine tuo: meus es tu!«20 Ich habe dich erlöst und dich bei deinem Namen gerufen: Du bist mein! Rauben wir Gott nicht, was Ihm gehört. Er ist ein Gott, der uns so sehr geliebt hat, dass Er sein Leben für uns gab, und »elegit nos in Ipso ante mundi constitutionem, ut essemus sancti et immaculati in conspectu eius«21, uns erwählt hat von Ewigkeit her, vor Erschaffung der Welt, damit wir immer in seiner Gegenwart leben. Ständig gibt Er uns Gelegenheiten zur Heiligkeit und zur Hingabe.

Falls noch ein Zweifel bleiben sollte, können wir auf ein anderes seiner Worte zurückgreifen: »Non vos me elegistis« – nicht ihr habt mich erwählt –, »sed ego elegi vos, et posui vos, ut eatis« – sondern ich habe euch erwählt, damit ihr weit hinausgeht in die ganze Welt – »et fructum afferatis« – und Frucht bringt: ihr bringt sie ja schon! – »et fructus vester maneat«22. Und die Frucht eurer Arbeit als beschauliche Seelen wird in Überfülle fortdauern. Glaube also, meine Kinder, übernatürlicher Glaube!

Gestern war ich gerührt, als ich von einem japanischen Katechumenen hörte, der andere, die Christus noch nicht kannten, den Katechismus lehrte. Ich schämte mich. Wir brauchen mehr Glauben, mehr Glauben, und zusammen mit dem Glauben die Beschaulichkeit und mehr apostolischen Einsatz. Seht, was heute im Brevier steht: »adversarius elevandus sit contra omne quod dicitur Deus et colitur; ita ut audeat stare in templo Dei, et ostendere quod ipse sit Deus«23; der Feind wird sich gegen alles erheben, was Gott heißt und angebetet wird; ja, er wird sich sogar erdreisten, im Tempel Gottes aufzutreten und so zu tun, als wäre er Gott. Von innen her will man den Glauben des Volkes zerstören! Von innen her versucht man, sich Gott zu widersetzen!

Ich will mit den Worten des heiligen Paulus an die Kolosser schließen: »non cessamus pro vobis orantes …«24 wir hören nicht auf, für euch zu beten, und bitten Gott, ihr möchtet die Fülle der Erkenntnis seines Willens erlangen, mit aller Weisheit und geistlichem Verständnis. Beschaulich mit den Gaben des Heiligen Geistes, »ut ambuletis digne Deo per omnia placentes … damit ihr des Herrn würdig wandelt und Ihm in allem wohlgefallt, Frucht bringt in jeglichem guten Werk und zunehmt an Erkenntnis Gottes, ausgerüstet durch die Kraft seiner Gnade; damit ihr stets vollkommene Geduld und Beharrlichkeit habt, mit der die Freude einhergeht, und Gott Vater Dank sagt, der euch gewürdigt hat, am Los der Heiligen teilzuhaben, indem Er uns durch sein Licht erleuchtet. Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines vielgeliebten Sohnes.«25

Die Mutter Gottes und unsere Mutter beschütze uns, damit jeder von euch und jeder eurer Brüder, jede eurer Schwestern, damit das ganze Werk der Kirche dienen kann in der Fülle des Glaubens, beschenkt mit den Gaben des Heiligen Geistes und mit beschaulichem Leben; jeder in seinem Stand und in der Erfüllung seiner eigenen Pflichten. In seinem Beruf und in der Erfüllung der Pflichten seines Berufes soll jeder voll Freude der Braut Christi dienen, an dem Ort, an den ihn der Herr gestellt hat, wobei er die Schliche derer durchschauen soll, die die Seelen mit falschen Theorien zu täuschen suchen – Theorien, die oft schwer aufzudecken sind, andere Male aber leicht entlarvt werden können. Es handelt sich um Leute, die sich selbst Theologen nennen, es aber nicht sind: Sie besitzen nur die Technik, von Gott zu sprechen, bekennen Ihn aber nicht mit dem Mund, nicht mit dem Herzen und nicht mit dem Leben.

»Ubi est qui natus est rex Iudaeorum?«1 Kaum ist Christus geboren, da wird seine Königswürde schon anerkannt. Wo ist der König der Juden, der gerade zur Welt gekommen ist? Männer aus dem Orient sind gekommen, um Ihn anzubeten, mächtige Leute – vielleicht waren es Fürsten oder Weise –, die sich von einem äußeren Zeichen bestimmen lassen, das nicht vollkommen vernünftig zu sein scheint. Ein Ruf ist an sie ergangen, eine undeutliche Botschaft: der außergewöhnliche Glanz eines Sternes. Aber sie leisten keinen Widerstand. Menschlich gesehen, scheint es ein wenig unlogisch, dass sie sich auf den Weg machen, eine Reise ohne klares Ziel antreten und schließlich ausgerechnet in Jerusalem, wo ein anderer an der Herrschaft ist, fragen: »Ubi est rex Iudaeorum?« Wo befindet sich der König der Juden?

Auch in eurem und in meinem Leben gibt es viele unlogische Dinge, Kinder meiner Seele. Auch wir haben ein Licht gesehen, auch wir haben einen Ruf vernommen, auch wir haben wie diese Männer eine Unruhe empfunden, die uns Entscheidungen treffen ließ, die den Menschen, die uns liebten und die an unserer Seite lebten, vielleicht nicht vernünftig erschienen sind. Menschlich gesehen, hatten sie recht. Aber du und ich, mein Sohn, wir könnten sagen: »vidimus stellam eius …«2 Wir haben seinen Stern gesehen und sind gekommen, Ihn anzubeten.

Ihr seid mit dem Entschluss zum Opus Dei gekommen, Kinder meiner Seele – lasst mich euch einmal mehr daran erinnern –, euch formen zu lassen, euch darauf vorzubereiten, Sauerteig zu werden, der die große Masse der Menschheit durchsäuern wird. Diese Formung erlaubt einerseits die Ausprägung eurer Persönlichkeit mit ihren charakteristischen Merkmalen und verleiht euch andrerseits einen gemeinsamen Nenner, den des Geistes unserer Familie, der für alle derselbe ist. Zu diesem Zweck müsst ihr, ich sage es nochmals, bereit sein, euch den Händen der Leiter zu überantworten und euch übernatürlich formen zu lassen wie der Ton in den Händen des Töpfers.

Schaut, meine Kinder, wir sind alle in diesem Netz, und das Netz ist im Boot, das heißt im Opus Dei. Wir haben eine wunderbare Bereitschaft zur Demut, zur Hingabe, zur Arbeit, zur Liebe. Ist das nicht herrlich? Hast du das vielleicht verdient? Gott hat dich doch irgendwo aufgelesen, auf der Straße, als Er vorüberging! Wir sind keine Besonderheit, wir sind keine Elite. Er hätte andere, Bessere suchen können, als wir es sind. Aber Er hat uns erwählt, und das zu bedenken ist nicht Hochmut, sondern Dankbarkeit.

Unsere Antwort muss sein: Ich werde mich besser erkennen lassen, werde mich mehr leiten, reinigen, gestalten lassen! Niemals will ich mich aus Hochmut auflehnen, wenn ich einen Hinweis erhalte, der dazu dient, mein inneres Leben zu verbessern; ich will nicht mein eigenes Urteil höher stellen – es kann nicht richtig sein, weil niemand Richter in eigener Sache ist – als das Urteil der Leiter; die liebevolle Mahnung meiner Brüder, die mir durch die brüderliche Zurechtweisung helfen, darf mich nicht empören.

Ich komme zum Schluss, meine Töchter und Söhne, und rufe euch jenen Text der Heiligen Schrift ins Gedächtnis, der in unserem Mund süß wie Honig schmeckt: »elegit nos in ipso ante mundi constitutionem, ut essemus sancti et immaculati in conspectu eius«7. Der Herr hat jeden einzelnen von uns erwählt, damit wir heilig seien in seiner Gegenwart. Und das noch vor Erschaffung der Welt, von aller Ewigkeit her. Das ist die wunderbare Vorsehung unseres Vaters Gott. Wenn ihr auf Ihn eingeht, wenn ihr kämpft, dann werdet ihr auch auf Erden ein glückliches Leben führen. Sicherlich wird es Momente der Dunkelheit geben, ein paar schmerzvolle Augenblicke, die ihr jedoch nicht übertreiben dürft; denn sie verschwinden, sobald wir das Herz öffnen. Ihr müsst mir doch zugeben, dass ihr wieder ruhig, gelassen und froh seid, sobald ihr erzählt habt, was euch Sorge bereitet oder euch peinlich ist.

Auf diese Weise werden wir überdies niemals allein sein. »Vae solis!«8 Wehe dem, der allein ist, sagt die Heilige Schrift. Wir sind niemals allein, in welchen Umständen auch immer. An jedem Ort der Erde nehmen uns unsere Geschwister liebevoll auf; sie hören uns zu und verstehen uns. Immer begleiten uns der Herr und seine heiligste Mutter. Und in unserer Seele im Stande der Gnade lebt, wie in einem Tempel, der Heilige Geist, Gott mit uns.

Anmerkungen
1

Ps 42, 3.

2

Mt 4, 19: Folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen.

3

Gal 2, 20.

4

Mt 13, 36.

Verzeichnis der Schriftstellen
Anmerkungen
11

Lk 9, 23.

12

Joh 15, 16.

13

Lk 18, 1.

14

Lk 6, 12.

15

Apg 2, 42.

Verzeichnis der Schriftstellen
Anmerkungen
3

Vgl. Lk 5, 6.

4

Vgl. Mt 13, 47.

5

Joh 21, 11.

Verzeichnis der Schriftstellen
Anmerkungen
6

Lk 5, 4-5.

7

Lk 5, 5.

8

Ebd.

9

Jer 18, 6.

10

Lk 5, 8

11

Lk 5, 10.

12

Jer 16, 16.

Verzeichnis der Schriftstellen
Anmerkungen
2

Jes 66, 10.

3

Ebd.

4

1 Thess 4, 7.

Verzeichnis der Schriftstellen
Anmerkungen
19

Ps 42, 2.

20

Jes 43, 1.

21

Eph 1, 4.

22

Joh 15, 16.

23

Dom. XXIV post Pent., Ad Mat., In III Noct., L. VII.

24

Kol 1, 9.

25

Kol 1, 10-13.

Verzeichnis der Schriftstellen
Anmerkungen
1

Mt 2, 2.

2

Ebd.

Verzeichnis der Schriftstellen
Anmerkungen
7

Eph 1, 4.

8

Koh 4, 10.

Verzeichnis der Schriftstellen