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Wenn du betest, mein Sohn – ich beziehe mich jetzt nicht auf dieses beständige Gebet, das den ganzen Tag über andauert, sondern auf die beiden festen Zeiten, die wir allein dem Umgang mit Gott widmen, abgeschirmt von allem Äußeren –, wenn du diese Betrachtung beginnst, dann versetze dich immer wieder in die Szene oder das Geheimnis, das du erwägen möchtest, was von vielen Umständen abhängig sein wird. Dann beginnst du, darüber nachzudenken und suchst alsbald ein Zwiegespräch mit dem Herrn, voll von Gefühlen der Liebe und des Schmerzes, des Dankes und dem Verlangen, besser zu werden. Auf diesem Weg sollst du zum Gebet der Ruhe finden, bei dem der Herr zu dir spricht, während du hinhörst auf das, was Gott dir sagen will. Wie deutlich spürt man dann diese inneren Anregungen und diese Hinweise, die die Glut der Seele entzünden.

Um das Gebet zu erleichtern, ist es angebracht, selbst das durch und durch Geistige zu materialisieren und zum Gleichnis Zuflucht zu nehmen; so hat Gott es uns gezeigt. Die Lehre muss über die Sinne in unseren Verstand und in unser Herz gelangen. Jetzt wird es dich also nicht wundern, dass ich so gern zu euch von der Weite des Meeres und von Booten spreche.

Meine Kinder, wir sind mit Christus in das Boot des Petrus gestiegen, in dieses Boot der Kirche, das so zerbrechlich und marode aussieht, aber von keinem Sturm zum Sinken gebracht werden kann. Und im Boot des Petrus müssen wir, du und ich, langsam, mit Bedacht darüber nachdenken: Herr, wozu bin ich in dieses Boot gestiegen?

Diese Frage betrifft dich besonders, seitdem du das Boot bestiegen hast, dieses Boot des Opus Dei, weil dir der Sinn danach stand – was ich für den übernatürlichsten aller Gründe halte. Ich liebe Dich, Herr, weil es mir passt. Dieses arme Herz hätte ich einem Geschöpf schenken können … aber nein! Ich lege es Dir ganz zu Füßen, jung, vibrierend, edel, rein, weil ich es eben so will!

Mit dem Herzen hast du Jesus auch deine Freiheit gegeben, und dein persönliches Ziel ist zweitrangig geworden. Du kannst dich frei in dem Boot bewegen, mit der Freiheit der Kinder Gottes5, die in der Wahrheit sind6 und den göttlichen Willen erfüllen7. Aber du darfst nicht vergessen, dass du immer innerhalb der Grenzen des Bootes bleiben musst. Und dies, weil es dir so gepasst hat. Ich wiederhole, was ich euch gestern oder vorgestern gesagt habe: Wenn du das Boot verlässt(a), wirst du in die Wogen des Meeres stürzen, wirst du den Tod finden, wirst du im Ozean untergehen und nicht weiter bei Christus sein, wirst du diese Gemeinschaft verlieren, die du freiwillig annahmst, als Er sie dir anbot.

Bedenke, mein Sohn, wie wohlgefällig dem Herrn der Weihrauch ist, der zu seiner Ehre verbrannt wird. Bedenke, wie wenig die Dinge der Erde wert sind, die kaum, dass sie begonnen haben, schon wieder zu Ende sind. Bedenke, dass wir Menschen, wir alle, nichts sind: »pulvis es, et in pulverem reverteris«8; wir werden wieder wie der Staub des Weges werden. Aber das Außerordentliche liegt darin, dass wir trotzdem nicht für die Erde leben und auch nicht für unsere Ehre, sondern für die Ehre Gottes, für den Ruhm Gottes, für den Dienst Gottes. Das ist es, was uns bewegt!

Wenn dir daher dein Stolz zuflüstert: Hier findest du keine Beachtung trotz deiner außergewöhnlichen Talente … hier wirst du nicht so viel Frucht bringen, wie du könntest … hier wirst du versauern, wirst du dich unnütz verbrauchen … Du, der du in das Boot des Werkes gestiegen bist, weil es dir so gepasst hat, weil dich Gott eindeutig gerufen hat – »niemand kann zu mir kommen, wenn ihn der Vater, der mich gesandt hat, nicht zieht«9 –, du musst dieser Gnade entsprechen, indem du dich verausgabst, indem du unsere freudige Überwindung, unsere Hingabe zu einem Opfer werden lässt, zu einem Brandopfer!

Mein Sohn, das Gleichnis hat dich schon davon überzeugt, dass du, wenn du Leben haben willst, ewiges Leben, wenn du die ewige Glückseligkeit, ewige Ehre haben willst, nicht vom Boot gehen darfst und oftmals dein persönliches Ziel beiseitelassen musst. Ich habe kein anderes als das gemeinschaftliche Ziel: Gehorsam.

Wie schön ist das: gehorchen! Aber fahren wir mit dem Gleichnis fort. Wir sind schon in diesem alten Boot, das seit zwanzig Jahrhunderten auf See ist ohne unterzugehen; in diesem Boot der Hingabe, des Dienstes an Gott. Und auf diesem ärmlichen Boot kommt dir der Gedanke, dass du ein Flugzeug besitzt, bei dem du dich genau auskennst, und du denkst: Wie weit kann ich damit kommen! Gut, dann geh und such dir einen Flugzeugträger, hier ist kein Bedarf für dein Flugzeug! Das muss dir ganz klar sein: Unsere Beharrlichkeit ist Frucht unserer Freiheit, unserer Hingabe, unserer Liebe, und sie fordert eine vollkommene Widmung. Auf dem Boot können wir nicht einfach tun, was uns in den Sinn kommt. Wenn man die ganze Ladung, die sich in seinem Rumpf befindet, an eine Stelle verlagert, dann sinkt das Boot; wenn alle Matrosen ihre konkrete Aufgabe unerfüllt lassen, dann geht das arme Schifflein zugrunde. Der Gehorsam ist notwendig; die Personen und die Dinge müssen an dem Ort sein, der ihnen zugewiesen wurde.

Mein Sohn, überzeuge dich ein für allemal, überzeuge dich, dass ein Verlassen des Bootes den Tod bedeutet. Und dass es, um auf dem Boot zu sein, notwendig ist, das Urteil zu unterwerfen. Eine tiefe Arbeit der Demut ist notwendig: sich hinzugeben, sich zu verbrennen, zum Brandopfer zu werden.

Anmerkungen
5

Vgl. Röm 8, 21.

6

Vgl. Joh 8,32.

7

Vgl. Mt 7, 21.

(a)

(a) In diesen Abschnitten verwendet der heilige Josemaría das Bild vom Boot und meint damit zweierlei: die Kirche und das Opus Dei. Die Kirche zu verlassen, bedeutet, sich in große Gefahr zu begeben, sein ewiges Heil aufs Spiel zu setzen, während das nicht der Fall ist, falls man das Opus Dei verlassen sollte, es sei denn, man verlässt gleichzeitig auch die Kirche oder missachtet bewusst den Willen Gottes, den man als solchen für sich erkannt hat. In beiden Fällen gibt es die Möglichkeit, immer wieder zurückzufinden und bei Christus zu sein.

8

Feria IV Cinerum, Ant.

9

Joh 6, 44.

Verzeichnis der Schriftstellen
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