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Seid gelassen! Bemühen wir uns, dass es uns nicht an Verantwortungsbewusstsein fehlt. Denken wir daran, dass wir Glieder derselben Kette sind. Deshalb möchte ich – so müssen wir, jedes der Kinder Gottes in seinem Werk, aufrichtig sagen –, dass dieses Kettenglied, das ich bin, nicht zerreißt. Denn wenn ich zerbreche, übe ich Verrat an Gott, an der Heiligen Kirche und an meinen Brüdern. Und wir werden über die Festigkeit der anderen Glieder glücklich sein; ich werde mich darüber freuen, dass es solche aus Gold, aus Silber und aus Platin gibt, mit kostbaren Steinen verziert. Und wenn es so aussieht, als würde ich zerbrechen, weil mich die Leidenschaften verwirrt haben; wenn es den Anschein hat, ein Glied würde zerreißen – dann bleibt ruhig! Man hilft ihm, damit er mit mehr Liebe, mit mehr Reue, mit mehr Demut vorankommt.

Du wirst deinen Brüdern sagen, dass sie beschaulich und gelassen sein sollen, voll Verantwortungssinn im gewöhnlichen Leben, denn unser Heroismus liegt im Kleinen. Wir suchen die Heiligkeit in der gewöhnlichen, täglichen Arbeit.

Du wirst ihnen auch sagen, dass sie lieben sollen, mit herzlicher Zuneigung. »Deus caritas est!«13, der Herr ist Liebe. Zuneigung zu euren Brüdern, ganz besonders aber zu euren Leitern, indem ihr auch ihnen durch die brüderliche Zurechtweisung helft. Ihr habt alle Mittel, um die Wahrheit zu sagen, ohne zu verletzen, so dass sie übernatürlich wirksam ist. Man fragt den Leiter des Hauses: Soll ich diese brüderliche Zurechtweisung machen? Vielleicht antwortet er, dass es nicht angebracht ist, weil es sich um etwas handelt, das objektiv gesehen kein Grund für eine Zurechtweisung ist, weil ihm das schon ein anderer gesagt hat, weil kein ausreichendes Motiv dafür vorhanden ist oder aus sonst einem Grund. Wenn man dir aber mit Ja antwortet, erteilst du die brüderliche Zurechtweisung umgehend, von Angesicht zu Angesicht, denn im Werk ist für üblen Klatsch kein Raum, darf es keinen Klatsch geben, nicht einmal indirekt. Der indirekte Klatsch ist typisch für Leute, die Angst haben, die Wahrheit zu sagen.

Es gibt ein Sprichwort, das lautet: Wer die Wahrheit sagt, verliert seine Freunde. Im Opus Dei verhält es sich genau umgekehrt. Bei uns sagt man die Wahrheit, aus Liebe, unter vier Augen, ganz offen; und alle fühlen wir uns glücklich und sicher, denn man hält uns den Rücken frei. Duldet niemals auch nur den geringsten Klatsch, und noch weniger, wenn er sich gegen einen Leiter richtet.

Meine Kinder, liebt alle Menschen. Das Opus Dei richtet sich gegen niemanden und gegen nichts. Wir können nicht Arm in Arm mit dem Irrtum vorangehen, denn das könnte Anlass dafür sein, dass man sich auf uns beruft und ihn verbreitet. Aber was die Personen anlangt, die im Irrtum sind, so gilt es, mittels der Freundschaft zu versuchen, sie aus ihm zu befreien. Man muss mit ihnen herzlich und mit Freude umgehen.

»Iterum dico: gaudete!«14 Seid immer froh, meine Kinder. Ich habe in diesem Gebäude an vielen Stellen Worte der Heiligen Schrift anbringen lassen, die uns helfen, froh zu sein. »Servite Domino in laetitia«15; dient dem Herrn mit Freude. Glaubt ihr, dass man im Leben für einen Dienst dankbar ist, der widerwillig geleistet wird? Nein. Es wäre besser, er würde gar nicht erbracht. Und da sollen wir dem Herrn mit finsterem Gesicht dienen? Nein. Wir werden Ihm mit Freude dienen, trotz unserer Erbärmlichkeiten, die wir mit der Gnade Gottes schon ausräumen werden.

Seid gehorsam. Um zu gehorchen, muss man auf das achtgeben, was man uns sagt. Wenn du wüsstest, wie weh es tut, wenn man guten Seelen, die nicht zu gehorchen verstehen, etwas befehlen muss! Vielleicht handelt es sich um einen guten, sehr heiligen Menschen; aber dann kommt der Augenblick des Gehorsams, und er sagt nein! Warum? Weil es manchmal Leute gibt, die das fast physische Defizit haben, nicht genau hinzuhören. Sie sind so gutwillig, dass sie beim Zuhören schon überlegen, wie sie es anders machen können, wie sie ungehorsam sein werden. Nein, man nennt zwar die Einwände, die man hat, wenn es sie gibt, und drückt sich klar aus, dann aber gehorcht man. Und man ist bereit, die unserem Ratschlag entgegengesetzte Lösung willig anzunehmen.

Gehorsam und objektiv sein. Wie werdet ihr informieren können, wenn ihr nicht objektiv seid? Ihr seid keine einfachen Soldaten, sondern Hauptleute des Heeres Christi und müsst daher eure Leiter objektiv darüber informieren, was euch betrifft. Wisst ihr, wie es einem General ergeht, der dreißig, fünfzig, hundert falsche Informationen erhält? Er verliert die Schlacht. Christus verliert keine Schlachten, aber durch falsche Informationen wird die Wirksamkeit unserer Arbeit verringert, und die Arbeit zeitigt nicht den Erfolg, den sie erbringen müsste.

Meine Kinder, nun dauert unsere Betrachtung schon fast vierzig Minuten. Ich überspringe nicht gern – wir sprechen ja gerade von militärischen Dingen – die Brustwehr der dreißig und nie die der vierzig Minuten. Ihr habt gesehen, dass ihr vieles zu lernen und zu leben habt, um es euren Brüdern beizubringen. Erweckt in euch große Wünsche nach Bildung. Und wenn ihr keine Wünsche habt, so rate ich euch, Wünsche nach Wünschen zu haben. Das ist schon etwas … Wünsche nach Hingabe, nach guter Ausbildung, nach Heiligkeit, nach großer Wirksamkeit: jetzt, später und immer.

Anmerkungen
13

1 Joh 4, 8.

14

Phil 4, 4.

15

Ps 99, 2.

Verzeichnis der Schriftstellen
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