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Ich habe den heiligen Josef sehr gern. Ich finde, er ist ein außergewöhnlicher Mann. Immer habe ich ihn mir jung vorgestellt. Deshalb war ich verärgert, als in der Kapelle, die ich nutze, Reliefs angebracht wurden, auf denen er alt und bärtig dargestellt ist. Sofort ließ ich ein Bild malen, das ihn jung zeigt, voller Vitalität und Kraft. Es gibt einige, die glauben, die Keuschheit könne man nur im Alter bewahren. Aber die Alten sind nicht keusch, wenn sie es nicht als Junge waren. Wenn sie es nicht zuwege gebracht haben, in ihren Jugendjahren rein zu leben, haben sie im Alter dann oft ganz jämmerliche Angewohnheiten.
Der heilige Josef muss jung gewesen sein, als er die seligste Jungfrau heiratete, eine Frau, die gerade erst der Kindheit entwachsen war. Er war jung, rein, sauber, ganz keusch, und zwar gerade wegen seiner Liebe. Nur wenn wir das Herz mit Liebe anfüllen, können wir die Sicherheit haben, dass es sich nicht empört und verirrt, sondern der ganz reinen Liebe Gottes treu bleiben wird.
Gestern Abend, als ich schon im Bett lag, habe ich mich sehr oft an den heiligen Josef gewandt, um mich auf das heutige Fest vorzubereiten. Mit großer Klarheit begriff ich, dass wir wirklich zu seiner Familie gehören. Das ist kein unbegründeter Gedanke. Es gibt viele Gründe, um das zu behaupten. In erster Linie, weil wir Kinder Mariens, seiner Gemahlin, und Brüder Jesu Christi sind, allesamt Kinder des himmlischen Vaters. Und dann, weil wir eine Familie bilden, deren Haupt der heilige Josef sein wollte. Deshalb nennen wir ihn seit dem Beginn des Werkes unseren Vater und Herrn.
Das Opus Dei hat sich auf seinem Weg nicht leicht durchgesetzt. Menschlich gesprochen war alles sehr schwierig. Ich wollte keine kirchlichen Approbationen, weil sie unseren juristischen Weg hätten verbauen können. Dieser Weg existierte damals nicht, und er wird immer noch gebahnt. Viele verstanden unser rechtliches Phänomen nicht, und noch immer gibt es einige, die unfähig sind, es zu begreifen. Noch viel weniger verstanden sie unser Leben theologisch und asketisch – diese friedliche, pastorale Woge, die die ganze Erde überflutet. Ich wollte keine kirchlichen Approbationen irgendwelcher Art, aber wir mussten an vielen Orten arbeiten, wo Millionen Seelen auf uns warteten.
Wir riefen zum heiligen Josef, der für den Herrn Vater gewesen ist. Und die Jahre vergingen. Bis 1933 konnten wir nicht mit dem ersten korporativen Werk beginnen. Es war die berühmte Akademie DYA. Wir gaben Unterricht in Jura und Architektur – daher die Buchstaben des Namens: Derecho y Arquitectura –, aber in Wirklichkeit sollte er bedeuten: Dios y Audacia, Gott und Kühnheit. Das war es, was wir brauchten, um die juristischen Schemata zu sprengen, und wir haben sie gesprengt. Es galt, eine Lösung zu finden für das Verlangen der christlichen Seele, die von ganzem Herzen Gott dienen wollte und Ihm dienen will; und dies im Rahmen der menschlichen Begrenzungen, aber auf der Straße draußen, in der gewöhnlichen beruflichen Arbeit, ohne Ordensleute zu sein oder den Ordensleuten gleichgestellt.
Mehrere Jahre vergingen, bis ich das erste Statut des Werkes ausarbeitete. Ich erinnere mich an einen Haufen Notizzettel, auf denen ich nach und nach unsere Erfahrungen notiert hatte. Der Wille Gottes war seit dem 2. Oktober 1928 klar, aber er wurde erst mit den Jahren allmählich in die Tat umgesetzt. Ich vermied das Risiko, einen Anzug anzufertigen und dann das Geschöpf hineinzupferchen. Ich nahm vielmehr Maß – diese Erfahrungszettel –, um einen passenden Anzug zu schneidern. Nach mehreren Jahren bat ich eines Tages Don Alvaro und zwei andere eurer älteren Brüder, sie möchten mir beim Ordnen dieses ganzen Materials helfen. So verfassten wir das erste Statut, in dem keine Rede war von Gelübden – nada de votos, ni de botas, ni de botines, ni de botones(a) –, denn damals waren sie nicht notwendig, und heute sind sie es auch nicht.
(a) Das ist ein Wortspiel auf Spanisch: voto heißt Gelübde. Der Satz heißt übersetzt: Weder Gelübde (votos) noch Stiefel (botas), noch Knöpfe (botones) oder Stiefeletten (botines).
Text gedruckt bei https://escriva.org/de/en-dialogo-con-el-se%C3%B1or/72/ (20.11.2025)