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Persönliche Heiligkeit: darauf kommt es an, meine Töchter und Söhne, sie ist das einzig Notwendige.6 Die Weisheit besteht darin, Gott zu kennen und zu lieben. Und damit ihr nie eine Überraschung erlebt, will ich euch mit dem heiligen Paulus daran erinnern, dass wir diesen Schatz in irdenen Gefäßen tragen: »habemus autem thesaurum istum in vasis fictilibus«7. Das Gefäß ist so schwach, dass es leicht zerbricht, »ut sublimitas sit virtutis Dei et non ex nobis«8, damit man erkennt, dass diese ganze Schönheit und diese Macht von Gott sind und nicht von uns. In der Heiligen Schrift heißt es auch: »Das Herz des Toren gleicht einem zerbrochenen Krug: es fasst keine Weisheit.«9 Damit lehrt uns der Heilige Geist, dass wir nicht wie Kinder oder wie Toren sein dürfen. Wir sollen stark sein: Kinder Gottes. Wir werden bei unserer Arbeit und im Beruf ständig in der Gegenwart Gottes leben, die uns dazu führt, auf die Vollkommenheit in den kleinen Dingen zu achten. Wir müssen dafür sorgen, dass das Gefäß heil bleibt, damit diese göttliche Essenz nicht verschüttet wird.
Das Gefäß zerbricht nicht, wenn wir alles, selbst unsere Leidenschaften, auf Gott ausrichten. In sich betrachtet, sind die Leidenschaften weder gut noch böse. Es hängt von jedem Einzelnen ab, ob er sie zähmt. Dann sind sie gut, selbst wenn es nur aus diesem negativen Grund wäre: »quia virtus in infirmitate perficitur«10. Denn wenn wir diese Krankheit im Bereich der Sitten spüren, dann aber siegen und wieder gesund werden, erlangen wir innigeren Umgang mit Gott, mehr Heiligkeit.
Mein Gott, es gibt viele Menschen, viele – auch solche, die eigentlich die Seelen davon überzeugen sollten, diesen inneren Weg einzuschlagen –, die uns anschauen, als wären wir verrückt oder komische Vögel. Denn sie glauben in keiner Weise, dass man zu diesem innigen Umgang mit dem Herrn gelangen kann. Es ist traurig, dass ich euch das sagen muss, aber es ist wahr.
Ihr wisst, dass man sehr wohl zu einer solchen Freundschaft gelangen kann und gelangen soll; dass sie für unsere Seele ein Bedürfnis darstellt. Wenn ihr diesen Umgang mit Gott nicht habt, werdet ihr nicht wirksam sein und den großen Dienst an der Kirche, an euren Geschwistern und an allen Seelen nicht leisten können, den der Herr und das Werk erwarten.
Nehmt das, was ich euch sage, mit in euer Gebet. Haltet im Licht, das euch der Heilige Geist gewährt, Einkehr in eurem Herzen, um alles auszumerzen, was das Gefäß zerbrechen und euch die Einheit des Lebens rauben könnte. Ihr müsst Menschen sein – und daran erinnere ich euch immer wieder –, die sich nicht wundern, wenn sie spüren, dass sie in sich ein wildes Tier beherbergen.
Text gedruckt bei https://escriva.org/de/en-dialogo-con-el-se%C3%B1or/95/ (16.11.2025)