Das Talent zu sprechen
Im April 1972 veranlasste der heilige Josemaría die Veröffentlichung dieser Betrachtung, nachdem er in einigen Beisammensein mit seinen Töchtern und mit seinen Söhnen ausführlich über die Tugend der Aufrichtigkeit gesprochen hatte. – Er war damals 70 Jahre alt, aber da die Null keinen Wert hat, sagte er, er sei nur sieben Jahre alt.
Im Opus Dei, meine Töchter und Söhne, sollten wir alle wirklich reife Menschen sein; jeder mit seinen besonderen Eigenschaften, die das Werk nicht nur respektiert, sondern fördert und verteidigt. Im geistlichen Leben hingegen müssen wir alle wie kleine Kinder sein, einfach und durchsichtig. Deshalb wiederhole ich gerne, dass ich gerade sieben Jahre alt geworden bin. Ich rate euch, über diese Altersstufe nicht hinauszuwachsen, denn ein Kind von acht oder neun Jahren hat bereits gelernt, faustdicke Lügen aufzutischen.
Gerade wegen meiner sieben Jahre Erfahrung möchte ich euch etwas in Erinnerung rufen, das ihr mich viele Male habt sagen hören. Dieser euer Vater sieht sich dazu imstande, dieselben Fehler und schrecklichen Verirrungen zu begehen, die die verdorbensten Menschen begehen können. Und wenn ihr euch nur ein bisschen kennt, werdet ihr euch genauso fühlen. Wenn ihr also einmal das Pech habt zu straucheln – und schwer zu straucheln, was nicht geschehen wird –, dann seid nicht erstaunt. Bringt es wieder in Ordnung, sprecht sofort! Wenn ihr aufrichtig seid, wird euch der Herr mit seiner Gnade erfüllen, und ihr werdet mit mehr Kraft, mehr Freude und mehr Liebe zum Kampf zurückkehren.
Dann wollen Sie also, Vater, dass wir fallen, dass wir uns irren? Nein, meine Kinder! Wie könnte ich so etwas wollen! Aber wenn ihr einmal aus menschlicher Schwäche zu Boden geht, dann verliert nicht den Mut. Es wäre eine Reaktion des Stolzes, dann zu denken: Ich tauge nicht. Natürlich taugst du! Du bist das ganze Blut Christi wert: »empti enim estis pretio magno«1, ihr seid um einen hohen Preis erkauft worden. Geht schleunigst zum Sakrament der Buße, sprecht aufrichtig mit eurem Bruder und beginnt von neuem, denn Gott rechnet mit euch, um sein Werk zu vollbringen.
Werdet nicht traurig, wenn in den wunderbarsten Momenten eures Lebens euch plötzlich die Versuchung überkommt – die ihr vielleicht für ein Verlangen haltet, dem ihr zustimmt, obwohl es nicht so ist –, die größten Scheußlichkeiten zu begehen, die man sich nur vorstellen kann. Nehmt Zuflucht zur Barmherzigkeit Gottes und rechnet mit der Fürsprache seiner und unserer Mutter, und alles kommt in Ordnung. Und dann brecht in Lachen aus: Gott behandelt mich wie einen Heiligen! Das hat überhaupt keine Bedeutung. Seid davon überzeugt, dass der alte Mensch, den wir alle mit uns tragen, sich jeden Augenblick erheben kann. Seid zufrieden und kämpft wie bisher! Heutzutage, da niemand von Kämpfen und Schlachten reden will, bleibt nichts anderes übrig, als die Worte der Heiligen Schrift in Erinnerung zu rufen: »militia est vita hominis super terram«2. Euer Krieg wird gewöhnlich nur eine Guerrilla sein, ein Kampf in Dingen ohne große Bedeutung, weit weg von den Hauptmauern der Festung, wenn ihr, meine Töchter und Söhne, die Ratschläge eures Vaters beachtet, der als Priester, aufgrund seines Alters und aus eigener Erfahrung, viel Erfahrung mit der menschlichen Schwäche hat.
Hin und wieder werdet ihr vielleicht auf heftigeren Widerstand stoßen, auf einen lebhafteren Stolz und einen stärkeren Sog der Dinge, die in den Schmutz ziehen. Das Dümmste, was ihr dann tun könntet, wäre zu schweigen. »Solang ich es verschwieg«, heißt es in einem Psalm, »waren meine Glieder matt, den ganzen Tag musste ich stöhnen. Denn Deine Hand lag schwer auf mir bei Tag und bei Nacht; meine Lebenskraft war verdorrt wie durch die Glut des Sommers.«3 Aber alles kommt in Ordnung, wenn ihr redet, wenn ihr in diesem persönlichen, vertraulichen und brüderlichen Gespräch, das es zuhause im Werk gibt, und in der Beichte von euren Schwierigkeiten, euren Fehlern und Erbärmlichkeiten erzählt. Meine Kinder, sprecht schon vorher klar, sobald ihr das erste Anzeichen bemerkt, auch wenn es geringfügig, wenn es scheinbar ohne Bedeutung ist. Sprecht klar und bedenkt, dass ihr euch sonst nur mit dummen Empfindungen der Scham belastet und euch wie eine Novizin aufführt, während ihr euch doch tapfer wie Soldaten verhalten solltet. Ich meine nicht bloß Schwächen des Fleisches, obwohl ich auch diese einbeziehe, allerdings an ihrem Platz, an fünfter oder sechster Stelle. Ich meine vor allem den Stolz, der unser ärgster Feind ist, weil er uns alles verkehrt herum sehen lässt.
Seid darum nicht erstaunt, wenn ihr einmal eine Dummheit begeht. Zeigt die angeschlagene Stelle, die Wunde, und lasst den heran, der euch heilen kann, auch wenn es schmerzt. So werdet ihr die Gesundheit wiedererlangen. So werdet ihr vorankommen, und euer Leben wird für die Seelen sehr förderlich sein.
Unser Gott ist so überaus gut, dass Er uns, wenn wir nur ein wenig kämpfen, mit seiner Gnade geradezu überflutet. Der Herr hat das Herz eines Vaters, das größer ist als alle unsere Herzen zusammen. Er ist allmächtig und will uns alle in seiner Nähe haben. Da es »seine Wonne ist, bei den Menschenkindern zu sein«4, ist es seine Seligkeit, jeden mit Freude zu erfüllen, der sich Ihm nähert. Und wisst ihr, wie wir uns Gott nähern? Durch Akte der Reue, die uns läutern und uns helfen, reiner zu sein.
Wir müssen uns verhalten wie ein kleines Kind, das weiß, dass es ein schmutziges Gesicht hat, und den Entschluss fasst, sich zu waschen, damit es von seiner Mutter ein paar Küsse bekommt. Im Fall der zerknirschten Seele freilich ist es Gott, der uns reinigt und der uns – dabei und danach – wie eine Mutter nicht ausschimpft, sondern uns nimmt, uns hilft, an seine Brust drückt, uns sucht, reinigt und uns seine Gnade gewährt, das Leben, den Heiligen Geist. Wenn wir mit der rechten Einstellung zu Ihm kommen, verzeiht und tröstet Er uns nicht nur, sondern Er heilt und nährt uns.
Man muss so rasch wie möglich zu Gott zurückkehren und immer wieder zurückkehren. Ich kehre oftmals am Tag zurück. Bisweilen beichte ich sogar zweimal in der Woche. Dann wieder nur einmal, dann dreimal, immer wenn ich es brauche, um meine Ruhe zu finden. Ich bin kein Frömmler und auch nicht skrupelhaft, aber ich weiß, was meiner Seele guttut.
Jetzt geben Leute ohne Frömmigkeit und Bildung vielerorts den Rat, man solle nicht zur Beichte gehen. Sie greifen das heilige Bußsakrament auf brutalste Weise an. Sie möchten eine Komödie aufführen: ein paar Worte, alle gemeinsam, und danach die Lossprechung. Nein, Kinder! Liebt die Ohrenbeichte! Und nicht nur die Beichte der schweren Sünden, sondern auch die Beichte unserer lässlichen Sünden und sogar der Fehler. Die Sakramente bewirken die Gnade ex opere operato, das heißt kraft des Sakraments selbst, und auch ex opere operantis, das heißt nach Maßgabe der Bereitschaft dessen, der sie empfängt. Die Beichte erweckt die Seele nicht nur zu neuem Leben und reinigt sie von den Erbärmlichkeiten, die sie in Gedanken, Wünschen, Worten und Werken begangen haben mag. Sie bewirkt auch eine Vermehrung der Gnade, stärkt uns und stattet uns mit mehr Waffen aus, um diesen inneren, persönlichen Sieg zu erringen. Liebt das heilige Bußsakrament!
Habt ihr je ein großartigeres Zeichen der Barmherzigkeit unseres Herrn gesehen? Gott als Schöpfer erfüllt uns mit Bewunderung und Dank. Gott als Erlöser erschüttert uns. Ein Gott, der in der Eucharistie zugegen ist, der aus Liebe zu uns unsere Speise wird, erfüllt uns mit dem Verlangen, seiner Liebe zu entsprechen. Ein Gott, der Leben spendet, der all unserem Tun einen übernatürlichen Sinn verleiht, indem Er im Zentrum der begnadeten Seele wohnt, ist etwas Unaussprechliches … Ein Gott, der verzeiht, ist einfach wunderbar! Wer gegen das Bußsakrament redet, widersetzt sich dieser Großtat der göttlichen Barmherzigkeit. Ich habe festgestellt, meine Kinder, dass viele, die Christus nicht kannten, innerlich tief bewegt wurden, als sie hörten, dass wir Katholiken einen Gott haben, der die menschlichen Schwächen versteht und verzeiht, und dass sie darum baten, dass man ihnen die Lehre Jesu erklärt.
Sollten jene, die darauf aus sind, dass wir dem Herrn für die Einsetzung dieses Sakramentes nicht danken, ihr Ziel auch nur in geringem Maß erreichen, würden sie die Spiritualität der Kirche zerstören. Wenn ihr mich fragt: Vater, sagen diese Leute denn etwas Neues?, dann muss ich euch antworten: nichts Neues, meine Kinder. Der Teufel wiederholt sich ständig. Es sind immer dieselben Dinge. Der Teufel ist sehr schlau, denn er war ein Engel und ist sehr alt, aber gleichzeitig ist er hoffnungslos dumm. Ihm fehlt nämlich Gottes Beistand, und er tut nichts anderes, als unentwegt auf denselben Dingen herumzureiten. Alle Irrtümer, die man heute verbreitet, alle diese Formen von Lüge und Häresie sind alt, uralt, und wurden bereits tausendfach von der Kirche verurteilt.
Wenn gewisse Leute behaupten, dass sie die Notwendigkeit der Ohrenbeichte nicht verstehen, liegt das dann nicht daran, dass sie das Gift in ihrem Inneren nicht offenbaren wollen? Gehören sie nicht vielleicht zu jenen, die zum Arzt gehen, ihm aber nicht sagen wollen, seit wann sie krank sind, welche Symptome ihre Krankheit hat und wo es ihnen weh tut …? Sie sind verrückt! Diese Leute sollten den Tierarzt aufsuchen, da sie sich wie Tiere benehmen, die nicht sprechen.
Wisst ihr, warum solche Dinge in der Kirche geschehen? Weil viele nicht tun, was sie predigen, oder weil sie Irrtümer lehren, und dann stimmt ihr Verhalten mit dem überein, was sie sagen. Die asketischen Mittel sind nach wie vor unentbehrlich für ein christliches Leben. In diesem Punkt hat es keine Fortschritte gegeben, noch wird es je welche geben. »Jesus Christus, heri et hodie, ipse et in saecula!«5, Jesus Christus ist derselbe, gestern und heute, und Er wird immer derselbe sein. Man kann ein Ziel nicht erreichen, ohne die entsprechenden Mittel anzuwenden. Und im geistlichen Leben waren und sind die Mittel immer dieselben und werden immer dieselben sein: die Kenntnis der christlichen Lehre, der häufige Empfang der Sakramente, das Gebet, die Abtötung, das Frömmigkeitsleben, die Flucht vor den Versuchungen – und vor den Gelegenheiten – und die Öffnung des Herzens, damit die Gnade Gottes bis auf den Grund dringt und man die Geschwüre öffnen und die Wunden ausbrennen, säubern und reinigen kann.
Ich bin davon überzeugt, dass es in dieser Zeit viele Seelen gibt, die verlorengehen, weil sie die Mittel nicht anwenden. Deshalb ist die Beichte so hilfreich. Denn sie ist nicht nur ein von Jesus Christus eingesetztes Sakrament, sondern darüber hinaus – selbst psychologisch gesehen – ein großartiges Hilfsmittel, um den Seelen zu helfen. Wir haben außerdem das brüderliche Gespräch mit dem Leiter, das spontan und natürlich entstanden ist und wie eine Quelle fließt. Das Wasser ist einfach da und kann nicht anders als hervorsprudeln, denn es gehört zu unserem Leben.
Wie ist diese Gewohnheit in den ersten Jahren entstanden? Außer mir gab es keine Priester im Werk. Ich wollte nicht, dass eure Brüder bei mir beichteten. Denn wenn ich ihre Beichte hörte, waren mir Hände und Füße gebunden. Ich konnte ihnen nicht mehr den kleinsten Hinweis geben außer in der nächsten Beichte. Deshalb habe ich sie hinausgeschickt: Beichtet bei wem ihr wollt, sagte ich ihnen. Das bekam ihnen nicht gut. Denn wenn sie sich anklagten, beispielsweise die Gewissenserforschung vernachlässigt oder einen anderen kleinen Fehler begangen zu haben, bekamen sie von einigen Priestern die barsche und spöttische Antwort: Aber das ist doch keine Sünde! Und wenn es gute Priester oder Ordensleute mit gutem Geist, aber mit dem ihrigen waren, dann fragten sie: Haben Sie nicht vielleicht eine Berufung zu uns?
Eure Brüder zogen es vor, mir ihre Angelegenheiten mit Einfachheit und ganz offen zu schildern, außerhalb der Beichte. Letztlich ist das ja auch nichts anderes, als was Freunde oder Freundinnen einander bei einem Treffen, beim Kaffee oder beim Tanz erzählen! Sie erzählen das einfach so, mit allen Details und übertreiben sogar dabei.
Mit mindestens derselben Einfachheit müsst ihr in dieser brüderlichen Unterhaltung sprechen. Das Werk ist eine Mutter, die ihren Kindern völlige Freiheit lässt. Deshalb haben wir Kinder das Bedürfnis, loyal zu sein. Wenn einer das bisher nicht getan haben sollte, dann rate ich ihm, das Herz zu öffnen und das Ganze herauszulassen – die Kröte, die wir alle mit uns herumgetragen haben, vielleicht schon bevor wir zum Opus Dei kamen. Ich rate das allen meinen Kindern: Spuckt sie aus, diese dicke und hässliche Kröte. Und ihr werdet feststellen, welcher Friede, welche Ruhe, welches Glück und welche Freude. Der Herr wird euch für den Rest eures Lebens viel mehr Gnade geben, um eurer Berufung, der Kirche und dem Papst, den wir so sehr lieben, wer immer er auch ist, treu zu sein. Wer aber versuchen würde, eine Erbärmlichkeit, sei sie groß oder klein, zu verbergen, der wäre ein Infektionsherd für sich selbst und für die anderen Seelen. Fehler, die man verbirgt, bilden eine Pfütze, und genauso bildet das Gute, das man nicht offenlegt, eine Pfütze. Sogar ein Becken klaren Wassers wird zum Tümpel, wenn das Wasser nicht fließt. Öffnet das Herz in Klarheit, Kürze und ohne Komplikationen.
Nur die, die nicht aufrichtig sind, sind unglücklich. Lasst euch nicht vom stummen Teufel beherrschen, der uns manchmal durch Dummheiten den Frieden rauben möchte. Meine Kinder, ich wiederhole es: Wenn ihr einmal das Unglück habt, Gott zu beleidigen, dann hört auf den Rat des Vaters, der nur möchte, dass ihr heilig und treu seid. Geht schleunigst zur Beichte und zu diesem Gespräch mit eurem Bruder. Sie werden euch verstehen, euch helfen und euch mehr lieben. Spuckt die Kröte aus, und alles wird gut weitergehen.
Alles wird gut weitergehen – aus vielen Gründen: In erster Linie, weil der, der aufrichtig ist, demütiger ist. Dann, weil Gott, unser Herr, diese Demut mit seiner Gnade belohnt. Schließlich, weil der Bruder, der dir zugehört hat, weiß, dass du Hilfe brauchst, und die Verpflichtung spüren wird, für dich zu beten. Glaubt ihr, dass diejenigen, die eure Aussprache hören, Menschen sind, die euch nicht verstehen? Sie sind doch aus demselben Material wie ihr! Wer wird sich wundern, dass Glas zu Bruch gehen kann oder ein Tontopf Klammern braucht? Seid aufrichtig. Das ist etwas, wofür ich meinen Kindern sehr dankbar bin, denn so kommt alles in Ordnung – immer. Sich unverstanden fühlen, sich für das arme Opferlamm halten, führt dagegen – auch immer – zu großem geistlichen Hochmut.
Der Geist des Werkes führt notwendigerweise zur Einfachheit, und über diesen Weg werden die Menschen geleitet, die sich der Wärme unserer Arbeit nähern. Seit ihr zum Werk gekommen seid, hat man mit euch nichts anderes getan, als euch wie die Artischocken zu behandeln – die äußeren harten Blätter zu entfernen, damit das Innere zutage tritt. Wir alle sind ein wenig kompliziert. Deshalb lasst ihr immer wieder aus einer kleinen Sache ein Gebirge werden, das euch erdrückt – und das, obwohl ihr doch Talent habt. Übt euch doch stattdessen im Talent zu sprechen. Eure Geschwister werden euch helfen zu erkennen, dass diese Sorge eine Dummheit ist oder ihre Wurzeln im Stolz hat.
Vergesst darüber hinaus nicht, dass ihr mit der Darstellung einer subjektiven Wahrheit, die der Wirklichkeit nicht entspricht, euch selbst und die anderen täuscht. Man kann aus Stolz im Irrtum sein – ich wiederhole es –, denn dieses Laster macht blind, und der Mensch, der doch nicht sieht, meint zu sehen. Aber auch derjenige irrt, der sich selbst und die anderen täuscht. Nennt die Dinge beim Namen. Brot ist Brot, und Wein ist Wein. »Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.«6 Dieses »ich glaubte, dass …«, »ich dachte, dass …« und »weil nämlich …« sind die Namen von drei fürchterlichen Teufeln, die ich nicht aus eurem Munde hören will. Sucht keine Ausreden. Ihr habt das Erbarmen Gottes und das Verständnis eurer Geschwister, und das ist genug.
Sagt die Dinge ohne Zweideutigkeiten. Ein Sohn von mir, der die Fehler beschönigt, das Vorgefallene verzerrt darstellt und mit unnötigen Worten ausschmückt, geht einen schlechten Weg. Meine Töchter und Söhne, bedenkt, dass man, wenn man eine Torheit begangen hat, dazu neigt, für das Fehlverhalten alle möglichen Rechtfertigungen zu finden – künstlerische, intellektuelle, wissenschaftliche, ja sogar geistliche –, um zu guter Letzt zu behaupten, dass die Gebote altmodisch scheinen oder sind. Wenn im Laufe dieser dreiundvierzig langen Jahre des Werkes einer meiner Söhne vom Weg abgekommen ist, dann immer aus Mangel an Aufrichtigkeit oder weil ihm der Dekalog altmodisch erschienen ist. Und er soll mir nicht mit anderen Begründungen kommen, denn sie sind nicht wahr.
Versucht niemals, ein schwächliches Verhalten mit der Heiligkeit, die das Werk von euch fordert, in Einklang zu bringen. Bildet euch klare Kriterien und vergesst nicht, dass euer Gewissen täglich feinfühliger und anspruchsvoller werden wird, wenn ihr täglich aufrichtiger seid. Es gibt Dinge, mit denen ihr euch vor Jahren abgefunden habt, jetzt aber nicht mehr, denn ihr spürt den Anruf Gottes, der von euch mehr Feingefühl verlangt und euch die notwendige Gnade gibt, damit ihr seinen Erwartungen entsprechen könnt.
Ihr seid mit dem Entschluss zum Opus Dei gekommen, Kinder meiner Seele – lasst mich euch einmal mehr daran erinnern –, euch formen zu lassen, euch darauf vorzubereiten, Sauerteig zu werden, der die große Masse der Menschheit durchsäuern wird. Diese Formung erlaubt einerseits die Ausprägung eurer Persönlichkeit mit ihren charakteristischen Merkmalen und verleiht euch andrerseits einen gemeinsamen Nenner, den des Geistes unserer Familie, der für alle derselbe ist. Zu diesem Zweck müsst ihr, ich sage es nochmals, bereit sein, euch den Händen der Leiter zu überantworten und euch übernatürlich formen zu lassen wie der Ton in den Händen des Töpfers.
Schaut, meine Kinder, wir sind alle in diesem Netz, und das Netz ist im Boot, das heißt im Opus Dei. Wir haben eine wunderbare Bereitschaft zur Demut, zur Hingabe, zur Arbeit, zur Liebe. Ist das nicht herrlich? Hast du das vielleicht verdient? Gott hat dich doch irgendwo aufgelesen, auf der Straße, als Er vorüberging! Wir sind keine Besonderheit, wir sind keine Elite. Er hätte andere, Bessere suchen können, als wir es sind. Aber Er hat uns erwählt, und das zu bedenken ist nicht Hochmut, sondern Dankbarkeit.
Unsere Antwort muss sein: Ich werde mich besser erkennen lassen, werde mich mehr leiten, reinigen, gestalten lassen! Niemals will ich mich aus Hochmut auflehnen, wenn ich einen Hinweis erhalte, der dazu dient, mein inneres Leben zu verbessern; ich will nicht mein eigenes Urteil höher stellen – es kann nicht richtig sein, weil niemand Richter in eigener Sache ist – als das Urteil der Leiter; die liebevolle Mahnung meiner Brüder, die mir durch die brüderliche Zurechtweisung helfen, darf mich nicht empören.
Ich komme zum Schluss, meine Töchter und Söhne, und rufe euch jenen Text der Heiligen Schrift ins Gedächtnis, der in unserem Mund süß wie Honig schmeckt: »elegit nos in ipso ante mundi constitutionem, ut essemus sancti et immaculati in conspectu eius«7. Der Herr hat jeden einzelnen von uns erwählt, damit wir heilig seien in seiner Gegenwart. Und das noch vor Erschaffung der Welt, von aller Ewigkeit her. Das ist die wunderbare Vorsehung unseres Vaters Gott. Wenn ihr auf Ihn eingeht, wenn ihr kämpft, dann werdet ihr auch auf Erden ein glückliches Leben führen. Sicherlich wird es Momente der Dunkelheit geben, ein paar schmerzvolle Augenblicke, die ihr jedoch nicht übertreiben dürft; denn sie verschwinden, sobald wir das Herz öffnen. Ihr müsst mir doch zugeben, dass ihr wieder ruhig, gelassen und froh seid, sobald ihr erzählt habt, was euch Sorge bereitet oder euch peinlich ist.
Auf diese Weise werden wir überdies niemals allein sein. »Vae solis!«8 Wehe dem, der allein ist, sagt die Heilige Schrift. Wir sind niemals allein, in welchen Umständen auch immer. An jedem Ort der Erde nehmen uns unsere Geschwister liebevoll auf; sie hören uns zu und verstehen uns. Immer begleiten uns der Herr und seine heiligste Mutter. Und in unserer Seele im Stande der Gnade lebt, wie in einem Tempel, der Heilige Geist, Gott mit uns.
1 Kor 6, 20.
Ijob 7, 1: Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf der Erde?
Ps 31, 3-4.
Spr 8, 31.
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