Ein Tag, um neu zu beginnen
Diese Betrachtung wurde am 3. Dezember 1961, dem 1. Adventssonntag, in der Pfingstkapelle von Villa Tevere für diejenigen gehalten, die im Zentrum des Generalrates wohnten. Er kommentierte dabei die Tageslesungen der Heiligen Messe
Wir beginnen mit dem Einleitungsgebet: »Mein Herr und mein Gott, ich glaube fest, dass Du hier zugegen bist, dass Du mich siehst, dass Du mich hörst; ich bete Dich in tiefer Ehrfurcht an, ich bitte Dich um Verzeihung für meine Sünden« – und gleichzeitig, als Akt des Dankes und der Verehrung gegenüber der Gottesmutter, wollen wir nach diesem Gebet, das schon persönliches Beten ist, wie jeden Morgen und jeden Nachmittag betrachten, wie wir besser werden können.
Meine Kinder, heute, da mit dem neuen liturgischen Jahr eine Zeit voller Zuneigung zum Erlöser beginnt, ist ein guter Tag, um neu zu beginnen. Neu beginnen? Ja, neu beginnen. Ich beginne jeden Tag, jede Stunde, jedes Mal, wenn ich einen Reueakt verrichte. Und ich denke, dass du das auch tust.
»Ad te Domine levavi animam meam: Deus meus, in te confido, non erubescam«1, zu Dir, Herr, erhebe ich meine Seele, mein Gott, auf Dich vertraue ich. Lass mich nicht zuschanden werden! Ist dieses Vertrauen in Gott nicht die Stärke des Opus Dei? Im Laufe vieler Jahre haben wir in Augenblicken des Unverständnisses, ja des schonungslosen Unverständnisses so gebetet: »Non erubescam!« Aber wir sind nicht die einzigen Unverstandenen. Verständnislosigkeit erleiden alle, natürliche wie moralische Personen. Es gibt niemanden auf der Erde, der nicht mit oder ohne Berechtigung sagen könnte, dass er nicht verstanden wird, dass ihn Verwandte, Freunde, Nachbarn, Kollegen … nicht verstehen. Aber wenn er mit lauterer Absicht handelt, wird er sogleich sagen: »Ad te levavi animam meam« und mit dem Psalmisten fortfahren: »Etenim universi, qui te expectant, non confundetur«2, ja, alle, die auf dich harren, werden nicht zuschanden.
»In te confido …« Es handelt sich nicht mehr bloß um Unverständnis, sondern um Menschen, die hassen, die eine schlechte Absicht haben. Vor Jahren habe ich es nicht geglaubt, jetzt aber schon: »Neque irrideant me inimici mei«3: Lass meine Feinde mich nicht verlachen! Mein Sohn, Kind meiner Seele, sage Gott Dank dafür, dass Er diese Worte, die uns eine größere Stärke verleihen, in den Mund des Psalmisten gelegt hat. Und denke an jene Male, da du dich betroffen gefühlt und die Gelassenheit verloren hast, weil du dich nicht in der Lage sahst, dich an den Herrn zu wenden – Deus tuus, deinen Gott – und Ihm zu vertrauen.
Im inneren Kampf der Seele und im Kampf zur Ehre Gottes, um ein wirksames Apostolat im Dienst an Gott, den Menschen und der Kirche zu entfalten … dort in diesen Kämpfen habt Glauben und Vertrauen! »Aber Vater«, wirst du mich fragen, »wie verhält es sich dabei mit meinen Sünden?« Und ich antworte dir: Und was ist mit den Meinigen? So beten wir: »Ne respicias peccata nostra, sed fidem«4 und erinnern uns an die Worte aus der Heiligen Schrift: »Quia tu es, deus, fortitudo mea«5. Dann habe ich keine Angst mehr, weil Du, Herr, mehr auf meinen Glauben schaust als auf meine Erbärmlichkeit und weil Du meine Stärke bist. Und diese meine Kinder – ich bringe euch alle vor Gott – sind meine Stärke: sie sind stark, entschieden, sicher, gelassen, siegreich!
Aber auch demütig, demütig, weil wir den Ton, aus dem wir gemacht sind, sehr gut kennen und zumindest ein klein wenig unseres Stolzes und ein wenig unserer Sinnlichkeit haften bleibt. Und dabei wissen wir nicht alles. Wir wollen alles entdecken, was unseren Glauben, unsere Hoffnung, unsere Liebe behindert! Doch wir werden gelassen bleiben. Kurzum: Wir werden erahnen, dass wir bessere Kinder Gottes sind. So werden wir fähig sein, im neuen Jahr voranzukommen. Wir werden uns als Kinder Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes fühlen.
Uns hat der Herr den Weg zum Himmel gezeigt. Genauso wie Er Elija das unter der Asche verborgene gebackene Brot gab, hat Er es auch uns geschenkt, damit wir auf dem Weg vorangehen können. Dieser Weg kann der Weg eines Heiligen, eines Lauen oder – daran will ich gar nicht denken – eines schlechten Menschen sein. »Vias tuas, Domine, demonstra mihi; et semitas tuas edoce me«6: Zeige mir, Herr, Deine Wege, lehre mich Deine Pfade! Möchtest du darüber etwas mehr nachdenken?
»Excita, quaesumus, Domine, potentiam tuam, et veni«7. Biete deine Macht auf, o Herr, und komm, wir bitten Dich. Hier zeigt sich, wie genau die Kirche und die Liturgie, die das Gebet der Kirche ist, uns kennen! Schau, wie sie deinen und meinen Wunsch kennen, wie sie wissen, wie du bist, wie ich bin … excita, Domine, potentiam tuam et veni. Die Macht Gottes kommt zu uns. Es ist der verborgene Gott, der vorübergeht, der jedoch nicht wirkungslos vorbeigeht.
Komm, Jesus, »dann werden wir den Gefahren, die uns wegen unserer Sünden drohen, durch Deinen Schutz entrissen und durch Deine Erlösungstat errettet«8. Sage Gott, unserem Beschützer und Befreier, Dank. Denke jetzt nicht daran, ob deine Fehler groß oder klein sind: denke an das Verzeihen, das immer übergroß ist. Denke daran, dass die Schuld hätte groß sein können, und danke Gott dafür, dass er bereit war zu verzeihen und es immer sein wird.
Mein Sohn, der Beginn des Advents ist besonders geeignet, um einen Akt der Liebe zu verrichten, um zu sagen: ich glaube, ich hoffe, ich liebe; um sich an die Mutter des Herrn – Mutter, Tochter, Braut Gottes, unsere Mutter – zu wenden und sie zu bitten, uns von der Heiligsten Dreifaltigkeit mehr Gnaden zu erflehen: die Gnade der Hoffnung, der Liebe und der Reue. Wenn wir dies tun, wird der heftige, trockene Wind, der die Blumen der Seele austrocknen kann und der manchmal in unserem Leben zu wehen scheint, die Blumen unserer Seele nicht ausdörren.
Lerne den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist zu preisen. Bemühe dich darum, eine besondere Verehrung zur Heiligsten Dreifaltigkeit zu erlernen, indem du sagst: Ich glaube an Gott Vater, ich glaube an Gott Sohn, ich glaube an Gott, den Heiligen Geist, ich glaube an die Heiligste Dreifaltigkeit. Ich hoffe auf Gott Vater, auf Gott Sohn, auf Gott, den Heiligen Geist, ich hoffe auf die Heiligste Dreifaltigkeit. Ich liebe Gott Vater, Gott Sohn, Gott, den Heiligen Geist, ich liebe die Heiligste Dreifaltigkeit. Diese Andacht ist eine notwendige übernatürliche Übung, die sich in Regungen des Herzens manifestiert, auch wenn sie sich nicht immer in Worten ausdrückt.
Wir kennen sehr gut, was uns der heilige Paulus heute sagt: »Fratres, scientes quia hora est iam nos de somno surgere«9. Es ist an der Zeit zu arbeiten! Innerlich zu arbeiten, am Aufbau unserer Seele; und äußerlich, am Aufbau des Reiches Gottes. Und erneut kommt uns der Reueakt auf die Lippen: Herr, ich bitte Dich wegen meines schlechten Lebens, wegen meines lauen Lebens um Verzeihung. Ich bitte Dich für meine schlecht getane Arbeit um Verzeihung, und weil ich nicht verstanden habe zu lieben und Dich deswegen so vernachlässigt habe. Wenn ein Kind seiner Mutter einen verächtlichen Blick zuwirft, schmerzt das die Mutter sehr. Wenn dies hingegen ein Fremder tut, trifft es sie nicht so sehr. Ich bin aber dein Sohn, deswegen sage ich: mea culpa, mea culpa …!
»Wisst, dass es schon Zeit ist aufzustehen.« Mit welchem übernatürlichen Blick schauen wir auf das, was geschieht? Dies kommt nicht äußerlich zum Ausdruck, aber es zeigt sich in unseren Handlungen, manchmal sogar auch in unseren Blicken. Du musst einen tief nach innen gerichteten Blick haben. Ist es nicht so, dass es in deinem Leben ein wenig Träumerei gegeben hat, ein bisschen zu viel an leichten Lösungen? Denke daran, wie leicht wir es uns machen, wenn wir unsere Pflichten ohne viel Liebe erfüllen.
»Nox praecessit, dies autem appropinquavit: abiiciamus ergo opera tenebrarum, et induamur arma lucis«10; die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe; darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts! Der Apostel drückt sich sehr stark aus. »Sicut in die honeste ambulemus, lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag«11. Wir müssen durch das Leben gehen, wie es die Apostel taten, mit dem Licht und dem Salz Gottes. Voll Natürlichkeit, aber mit einem guten inneren Leben, mit dem Geist des Opus Dei, den wir zum Leuchten bringen, so dass wir die Verdorbenheit, die es in unserer Umgebung gibt, meiden und als Früchte Gelassenheit und Freude ernten. Inmitten von Tränen, die es manchmal geben wird, was aber nicht weiter schlimm ist, werden sich Freude und Frieden, wird sich das gaudium cum pace einstellen.
Salz, Feuer, Licht; für die Seelen, für deine und meine Seele. Ein Akt der Liebe, der Reue. Mea culpa … Ich konnte und ich hätte Werkzeug sein sollen … Ich danke Dir, mein Gott, weil Du mir trotz allem einen großen Glauben geschenkt hast und die Gnade der Berufung und der Beharrlichkeit. Daher lässt uns die Kirche in der Heiligen Messe beten: »Dominus dabit benignitatem, et terra nostra dabit fructum suum; der Herr gibt Gutes und unser Land gibt seinen Ertrag.«12 Dieser Segen Gottes ist der Ursprung allen Ertrages, jener notwendigen Atmosphäre, damit wir in unserem Leben heilig werden und Heilige hervorbringen können, meine Kinder.
»Dominus dabit benignitatem …« Unser Herr erwartet Früchte. Wenn wir sie nicht bringen, nehmen wir sie Ihm weg. Aber es darf keine kümmerliche, ausgezehrte Frucht sein, weil wir es nicht verstanden haben, uns zu verschenken. Der Herr gibt das Wasser, den Regen, die Sonne, den guten Boden … aber Er erwartet die Aussaat, das Umgraben, das Beschneiden. Er erwartet, dass wir uns um die Früchte voller Liebe kümmern, dass wir – wenn nötig – verhindern, dass die Vögel des Himmels kommen und sie auffressen.
Wir wollen unser Gebet beenden, indem wir uns an unsere Mutter wenden, damit sie uns hilft, uns an die Vorsätze halten zu können, die wir uns vorgenommen haben.
Ps 24, 1-2.
Ebd.
Ebd.
Gebet bei der Hl. Messe.
Ps 42, 2.
Ps 24, 4.
Text gedruckt bei https://escriva.org/de/en-dialogo-con-el-se%C3%B1or/ein-tag-um-neu-zu-beginnen/ (18.11.2025)