Zur Einführung

Die hier veröffentlichten Texte stammen aus Betrachtungen, Predigten sowie Gesprächen bei Zusammenkünften mit Mitgliedern der Prälatur Opus Dei, die der heilige Josemaría zwischen November 1954 und dem 27. März 1975, dem Vorabend seines Goldenen Priesterjubiläums, und kurz vor seinem Tod, am 26. Juni 1975, gehalten hat.

Der heilige Josemaría überarbeitete die mitgeschriebenen Texte zwischen 1967 und 1975, um sie für die Gläubigen der Prälatur zur Verfügung zu stellen. Sein Nachfolger, der selige Alvaro del Portillo, ließ sie in einem Band zusammenstellen, und Javier Echevarría, der Nachfolger von Alvaro del Portillo, schließlich ließ sie 1995 unter dem Titel En diálogo con el Señor – Im Zwiegespräch mit dem Herrn drucken.

Die Texte dieses Bandes – der noch zwei weitere Betrachtungen des Gründers des Opus Dei enthält, die er in seinen letzten Lebensjahren ebenfalls überarbeitet hat – sind 2017 in der Reihe der historisch-kritischen Ausgabe des Gesamtwerkes des heiligen Josemaría im Auftrag des Historischen Instituts Heiliger Josemaría Escrivá von Luis Cano und Francesc Castells bearbeitet und im Verlag Rialp, Madrid, veröffentlicht worden. Diese Publikation gilt als Referenz für die hier vorliegende Textausgabe.

In der Geschichte der Spiritualität ist es nicht selten vorgekommen, dass Worte, die zunächst für ein eingeschränktes Publikum bestimmt waren, danach auch für die Allgemeinheit sehr fruchtbringend waren, ja sich sogar in die Kategorie Klassiker der Spiritualität einreihen ließen. Hier reicht es aus, Teresa von Avila zu erwähnen, deren Schriften für ihre Mitschwestern einen universellen Einfluss erlangten.

Die vorliegende Ausgabe enthält kurze Erläuterungen zu den jeweiligen Anlässen, zu denen der heilige Josemaría sie gehalten hat. Alle fanden in Villa Tevere statt, dem Zentralhaus des Opus Dei in Rom, in dem er wohnte. In einem Glossar am Ende dieses Buches werden einige Wörter oder Begriffe erläutert, die einer breiteren Leserschaft nicht ohne weiteres verständlich sind.

Behandelte Themen

Die Texte haben zwar vielfältige Bezüge zu den bereits veröffentlichten Homilien des Autors, enthalten aber auch neue Aspekte. Der Homilienband Christus begegnen führt durch das Kirchenjahr, in Freunde Gottes bilden die menschlichen Tugenden den roten Faden.

Der vorliegende Band unterscheidet sich insofern von den genannten Homilienbänden, als der Autor keine Struktur, kein Leitmotto bei der Zusammenstellung der Texte vor Augen hatte, sie sind lediglich chronologisch angeordnet.

Es sind keine Texte, welche die Botschaft des heiligen Josemaría in besonderer Weise erklären. Sie waren primär an ehelos lebende Mitglieder des Werkes gerichtet – Priester wie Laien –, die Leitungsaufgaben innehatten oder sich zur Weiterbildung in Rom aufhielten. Daher sprach er zu ihnen über den Geist des Opus Dei wie zu Leuten, die diesen Geist bereits gut kannten und lebten. Er ermunterte sie zu einem heiligmäßigen Leben gemäß dem von Gott erhaltenen Ruf. Daher werden Tugenden wie Aufrichtigkeit, Fügsamkeit oder Demut sehr häufig angesprochen, die für alle Christen wichtig sind, aber ganz besonders für diejenigen, die sich in einer intensiven geistlichen Ausbildung befinden, wie es für die Studenten des Römischen Kollegs vom Heiligen Kreuz der Fall war.

Ferner werden Themen aufgegriffen, die sich auf Begebenheiten in Welt und Kirche am Ende der 60er Jahre beziehen wie die Glaubenskrise, die sich in der katholischen Kirche und in verschiedenen Religionsgemeinschaften, aber auch in der gesamten Gesellschaft breitmachte. Die Texte sind vom großen Schmerz gekennzeichnet, den der heilige Josemaría angesichts dieser Krise verspürte. Gleichzeitig vermitteln sie bei seinen Zuhörern eine große Zuversicht und Stärke. Angesichts eines von Protest und Rebellion gekennzeichneten Klimas, der zahlreichen aufgegebenen Berufungen von Priestern und Ordensleuten, des Widerstands gegen das Lehramt der Kirche und ganz allgemein Autoritäten gegenüber, der schädlichen Wirkungen durch die Lockerung in der kirchlichen Disziplin, der Banalisierung der Liturgie und der Akzeptanz problematischer dogmatischer und moralischer Interpretationen, die teilweise offen der katholischen Lehre widersprachen, war die Reaktion des heiligen Josemaría sehr übernatürlich. »Es ist unmöglich, diese Übel zu betrachten, ohne darunter zu leiden. Aber ich bin sicher, Töchter und Söhne meiner Seele, dass wir mit der Hilfe Gottes imstande sein werden, reichen Nutzen und fruchtbaren Frieden daraus zu gewinnen, weil wir im Gebet und in der Buße beharrlich sein werden, weil wir eine größere Gewissheit haben werden, dass alles in Ordnung kommen wird« (Text Zeit der Danksagung, Nr. 103).

Ihm gefiel es dabei nicht, von einer »postkonziliaren Krise« zu sprechen. Dieser Begriff täuscht eine kausale Beziehung zwischen dem 2. Vatikanischen Konzil und der Unordnung in jenen Jahren vor. Mit einem Lächeln pflegte er zu sagen, »dass wir seit etwa dreißig Jahren nach dem Tode unseres Herrn Jesus Christus in der nachkonziliaren Zeit leben: seit dem Konzil von Jerusalem nämlich«1. In einem Interview erklärte er 1968: »Eine meiner größten Freuden bestand gerade darin zu sehen, wie das Zweite Vatikanische Konzil mit großer Klarheit die göttliche Berufung der Laien verkündet hat.«2 In den hier vorliegenden Texten schreibt er dem 2. Vatikanischen Konzil niemals die turbulente Situation zu, die sich nach dem Konzil entwickelte und die Historiker einem komplexen Ursachengeflecht zuschreiben. Die damaligen Umstände und Manifestationen sind von den Problemen, die die Kirche heute betreffen, sehr verschieden, wiewohl man die Folgen jener Situation von damals, die der heilige Josemaría vor 50 Jahren in prophetischer Weise beschrieb, heute durchaus beobachten kann.

Die meisten der hier vorliegenden Texte sind für Menschen hilfreich, die inmitten der Welt die Heiligkeit anstreben und damit der Lehre des 2. Vatikanums, das den allgemeinen Ruf zur Heiligkeit proklamiert hat, folgen wollen. »Wir müssen – mir ist bewusst, dass ich euch das oft gesagt habe – im Himmel und auf der Erde sein, und zwar immer, nicht zwischen Himmel und Erde, denn wir gehören dieser Welt an. In der Welt und im Paradies zugleich! Das wäre gewissermaßen die Formel, um auszudrücken, wie wir unser Leben gestalten sollen, solange wir in hoc saeculo sind. Im Himmel und auf der Erde, vergöttlicht; aber mit dem Wissen, dass wir von der Welt sind, dass wir Erde sind« (Vollendet in der Einheit, 122).

Um geistlichen Nutzen daraus zu ziehen, ist es aber nicht notwendig, dem Opus Dei anzugehören. Es reicht vielmehr, ein intensives christliches Leben führen zu wollen und zu versuchen, seinem Leben Einheit zu geben, die es erlaubt, mit Gott verbunden zu bleiben und gleichzeitig »von der Welt« zu sein.

Die Texte verdeutlichen, dass die normalen Lebensumstände den anhaltenden Dialog mit Gott nicht behindern. »Wir müssen in der Welt, mitten auf der Straße, in unserer beruflichen Arbeit, jeder in der seinen, beschauliche Seelen sein, Seelen, die beständig mit dem Herrn sprechen, ob nun etwas Gutes oder etwas scheinbar Schlechtes geschieht; denn einem Sohn Gottes gereicht alles zum Guten« (Mit mehr Dringlichkeit beten, 55).

Gleichzeitig treffen wir auf vielfältige autobiographische Bezüge, die eine interessante Quelle über das Leben des Gründers und sein Bewusstsein, das er über die ihm von Gott anvertraute Botschaft hatte, darstellen. Häufig drückt er sein Staunen darüber aus, wie sehr die Vorsehung in Bezug auf die geschichtliche Entwicklung des Opus Dei helfend eingegriffen hat. Er spürte zudem die Notwendigkeit, Gott dafür zu danken und für persönliche Versäumnisse um Verzeihung zu bitten. »Ein Blick zurück … Ein riesiges Panorama: so viele Leiden, so viele Freuden. Und jetzt sind es lauter Freuden, alles sind Freuden (…). Gratias tibi, Deus, gratias tibi! Ein einziger Gesang der Danksagung soll das Leben eines jeden von uns sein, denn wie ist das Opus Dei Wirklichkeit geworden? Du hast es gemacht, Herr, mit vier armen Schluckern … ›Stulta mundi, infirma mundi, et ea quae non sunt‹ (vgl. 1 Kor 1, 27-28). Die ganze Lehre des heiligen Paulus hat sich bewahrheitet. Du hast völlig unlogische, ungeeignete Mittel gesucht und hast das Werk über die ganze Welt ausgebreitet« (Vollendet in der Einheit, 120).

Im Folgenden geben wir einige Kerngedanken der Botschaft wieder, die der heilige Josemaría in den vorliegenden Texten zum Ausdruck bringt.

Identifikation mit Christus

In einem Text aus dem Jahr 1954 am Anfang dieses Bandes erklärt der heilige Josemaría, worin das christliche Leben besteht: »Christus nachzufolgen ist unsere Berufung (…). Ihm so sehr aus der Nähe zu folgen, wie die ersten Zwölf; so sehr, dass wir mit Ihm einswerden, dass wir sein Leben führen« (Leben zur Ehre Gottes, 1). Christus steht im Zentrum des Weges der Heiligkeit, der folgendes umfasst: Ihm zu folgen, Ihn zu lieben, sein Leben zu teilen, sich inmitten der alltäglichen Beschäftigungen mit Ihm zu identifizieren, alter Christus (ein anderer Christus), ja mehr noch ipse Christus (Christus selbst) zu sein. Und all dies als freier Entschluss jedes Einzelnen.

In den Lehren des heiligen Josemaría erscheint die Liebe zu Christus nie als eine theoretische Forderung, sondern ist geprägt durch einen liebevollen Umgang mit der Heiligsten Menschheit, mit dem Jesus aus Fleisch und Blut, der wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Er spricht über Ihn und mit Ihm, wie man mit einem Freund spricht, einem Bruder, den man sehr liebt. Er liebt nicht eine Idee, ein Dogma oder eine historische Gestalt. Auch ist seine Liebe nicht die Folge einer künstlichen Anstrengung. Sie ist ganz einfach die Zuneigung zu einer konkreten Person, die er in ihren wesentlichen Geheimnissen betrachtet: ihrer Geburt, ihrem verborgenen Leben in Nazareth, ihrem öffentlichen Leben, dem Leiden und dem Kreuz … und natürlich in der Eucharistie, wo die Liebe am größten ist.

Das Evangelium ist die Hauptquelle der Betrachtungen und Predigten des heiligen Josemaría. Alvaro del Portillo, der ihn unzählige Male predigen hörte, sagte: »Er versuchte nicht, durch Originalität zu beeindrucken, weil er davon überzeugt war, dass das Wort Gottes bis heute nichts von seiner unwiderstehlichen Anziehungskraft eingebüßt hat, wenn es nur mit Glauben verkündet wird. Wenn er sprach, war das Evangelium nie bloß ein hochgescheites Buch oder ein Zitatenschatz für Gemeinplätze.«3 Ferner sagte Alvaro del Portillo: Er »entdeckte Aspekte, die über Jahrhunderte verborgen geblieben waren«4. »Um zu Gott zu gelangen«, so bekräftigte es der heilige Josemaría, »müssen wir den rechten Weg einschlagen, und das ist die Heiligste Menschheit Christi« (Unser Weg auf Erden, 40).

Gotteskindschaft und Liebe zu Gott

Ein anderes Kernthema der Predigt des heiligen Josemaría ist das Bewusstsein der Gotteskindschaft und das Vertrauen zum Heiligen Geist. Er regt ein christozentrisches geistliches Leben an, das gleichzeitig zutiefst trinitarisch ist. Sein liebenswürdiger Umgang mit den drei Göttlichen Personen ist mit einer Verehrung der Heiligen Familie verknüpft: mit Jesus, Maria und Josef. Mehr noch, er spricht davon, dass die Dreifaltigkeit der Erde zur Dreifaltigkeit des Himmels führt.

Das Bewusstsein, Kind Gottes zu sein, steht ganz im Vordergrund; er sieht es als ein fundamentales Thema innerhalb des christlichen Lebens und als Kernelement des Opus Dei an. Im Jahr 1967 sagte er beispielsweise: »Gott hat gewollt, dass wir seine Kinder sind. Ich erfinde nichts, wenn ich euch sage, dass die Gotteskindschaft ein wesentlicher Kern unseres Geistes ist: Alles ist in den Evangelien enthalten. Es stimmt, dass Gott an einem bestimmten Tag in der Geschichte des Werkes wollte, dass wir uns als seine Kinder fühlen, dass der Geist der Gotteskindschaft in den Geist des Werkes fest integriert wird. Davon werdet ihr zu seiner Zeit erfahren. Gott hat gewollt – erstmals in der Kirchengeschichte –, dass das Opus Dei die Gotteskindschaft gemeinschaftlich lebt« (Ohne Unterlass beten, 46).

Zwei Jahre später – 1969 – bezog er sich genauer auf jenes Ereignis: »Schon als Kind habe ich im Vaterunser gelernt, Vater zu sagen. Aber diesen Willen Gottes, dass wir seine Kinder sind, zu spüren, zu sehen, zu bewundern … das war auf der Straße und in einer Straßenbahn – eine Stunde lang, eineinhalb Stunden lang, ich weiß es nicht … Und Abba, Pater! musste ich rufen. (…) An jenem Tag hat Er auf eindeutige, klare, bestimmte Weise gewollt, dass ihr euch mit mir immer als Kinder Gottes fühlt, Kinder dieses Vaters, der im Himmel ist und uns geben wird, worum wir Ihn im Namen seines Sohnes bitten« (Mit mehr Dringlichkeit beten, 56).

Als Folge davon stellt der heilige Josemaría die Berufung zum Opus Dei als eine Wirklichkeit dar, die vom Vertrauen zu Gott durchdrungen ist und Friede und Freude nach sich zieht. Nichts ist seinem Denken fremder als ein hektisches christliches Leben, das infolge von Schwierigkeiten oder eines falsch verstandenen Perfektionismus voller Angst oder – noch schlimmer – eine Qual ist. Angesichts der Ereignisse, die einen ereilen, und der eigenen Schwächen verhilft es dazu, voller Frieden und gelassen zu sein.

Gebet und beschauliches Leben

Themen, denen der heilige Josemaría viele Abschnitte gewidmet hat, sind das Gebet und das kontemplative Leben. Was bedeutet das Gebet für ihn? Es ist das »liebevolle Gespräch mit der ewigen Liebe« (Das Gebet der Kinder Gottes, 8), eine Zeit des Zusammenseins mit Gott, ganz ungezwungen, »wie man mit einem Bruder, mit einem Freund, mit einem Vater spricht« (ebd., 9).

Obwohl er beim Beten keiner eigenen »Methode« folgte und einem immer die größtmögliche Freiheit ließ, so zu beten, wie man wollte5, ist es doch möglich, ein bestimmtes Muster in seinem Gebet zu erkennen, das sich regelmäßig wiederholte:

Es beginnt immer mit einem kurzen Einleitungsgebet, das er langsam betet und bei dem er jedes Wort abwägt.6

Nach dem Einleitungsgebet nimmt er als Ausgangspunkt seiner Betrachtung fast immer eine Bibelstelle oder einen liturgischen Text zur Hand.

Wenn der Text aus dem Evangelium stammt, nimmt er seine Phantasie zu Hilfe, um die Szene auf eine lebendige Art und Weise zu vergegenwärtigen, als ob es sich um einen Film oder ein Theaterstück handelte.

Oft sieht er sich selbst als einen Akteur in dieser Szene, wobei er eine Rolle wählt, die besonders das Leben als Kind Gottes verdeutlicht und dazu führt, sich selbst als Kind oder ein anderes demütiges Wesen zu fühlen (ein Esel, ein treuer Hund usw.).

Dieser rationale Zugang, der schnell und intuitiv erfolgt, führt ihn dazu, Liebesakte gegenüber Gott, besonders gegenüber der Heiligsten Menschheit Jesu Christi und der »Dreifaltigkeit der Erde« – Jesus, Maria und Josef – zu erwecken.

Als Folge davon ergeben sich Wünsche, Vorsätze sich zu bessern, Reueakte, Danksagungsakte und Bitten …

Am Ende der Betrachtung, die eine halbe Stunde umfasst, nimmt der heilige Josemaría ein Schlussgebet, das ähnlich wie das Einleitungsgebet aufgebaut ist.

Sehen wir uns ein Beispiel an, bei dem diese Struktur erkennbar ist. Es ist einem Kommentar zum Geheimnis der Epiphanie entnommen: »Die Magier sind nach Bethlehem gekommen. (…) Meine Kinder, nähern wir uns der Gruppe, die diese Dreifaltigkeit der Erde bildet: Jesus, Maria und Josef. Ich stelle mich in einen Winkel. Ich wage es nicht, mich Jesus zu nähern, denn all mein vergangenes und gegenwärtiges Elend steht vor mir auf. Irgendwie schäme ich mich, aber ich verstehe auch, dass Jesus Christus mir einen liebevollen Blick zuwirft. Dann wende ich mich an seine Mutter und an den heiligen Josef, diesen Menschen, der Jahrhunderte hindurch ignoriert wurde und Ihm auf Erden Vater war. Und zu Jesus sage ich: Herr, ich möchte wirklich Dir gehören; dass meine Gedanken, meine Werke, mein ganzes Leben Dein sind. Aber Du siehst ja: Dieses armselige menschliche Elend hat mich so oft in die Irre gehen lassen … (…) Vor dem Herrn, vor allem aber vor dem Herrn als wehrlosem, hilfsbedürftigem Kind, wird alles Reinheit sein. Und wenn ich auch erkenne, dass ich wie alle Menschen die Möglichkeit habe, Ihn zu beleidigen, ein Tier zu sein, so ist das nicht beschämend, wenn es uns hilft, zu kämpfen und unsere Liebe zu zeigen; wenn es uns Gelegenheit gibt, allen Menschen, allen Geschöpfen brüderlich zu begegnen. Es ist notwendig, ständig einen Akt der Reue, der Umkehr, der Besserung zu erwecken« (Die Logik Gottes, 62 und 63).

Ein weiteres grundlegendes Thema auf diesen Seiten ist die Beschaulichkeit während des Tages: »Die Kinder Gottes in seinem Opus Dei müssen beschaulich sein, beschauliche Seelen mitten in der Welt! Ihr müsst ein beständiges Gebetsleben pflegen, vom Morgen bis zum Abend, und vom Abend bis zum Morgen« (Leben zur Ehre Gottes, 5).

Die Suche nach der Liebe im gewöhnlichen Leben

Auch wenn es für den heiligen Josemaría wichtig war, in den Tugenden voranzuschreiten und die schlechten Neigungen zu bekämpfen, so scheint es, dass er in den vorliegenden Texten mehr Wert darauf legt, der Gnade zu entsprechen, ein beschauliches Leben zu führen und die Liebe Gottes im gewöhnlichen Leben zu suchen. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass er von »unserer Askese, die Mystik ist« (In Gottes Händen, 77) spricht. Ein paar Jahre vorher fragte er sich: »Askese? Mystik? Ich könnte es nicht sagen« (Unser Weg auf Erden, 41). Jetzt scheint er zu bekräftigen, dass der Kampf um die Liebe Gottes – »die Askese« – bereits eine mystische Vereinigung mit Gott ist, weil es ein Akt der Liebe ist.

Es erfordert sicherlich eine ernsthafte Anstrengung, eine »feste Entschlossenheit«, wie die heilige Teresa von Avila sagen würde, niemals aufzugeben, immer voranzugehen und zu versuchen, nicht vom Weg, der zum Himmel führt, abzuweichen. So lehrt es der heilige Josemaría: »Geht die Dinge ernsthaft an. Nehmt jetzt den Weg wieder auf. Ich bin ein großer Freund des Wortes Weg, denn im Hinblick auf Gott sind wir alle unterwegs. Wir sind viatores, wir wandern zum Schöpfer, seit wir auf die Erde gekommen sind. Jemand, der sich auf den Weg macht, hat ein Ziel vor Augen, verfolgt einen Zweck: Er möchte von hier nach dort kommen und setzt alle Mittel ein, um das Reiseziel wohlbehalten zu erreichen. Er beeilt sich entsprechend und achtet darauf, nicht auf unbekannte Seitenpfade zu geraten, die in den Abgrund führen oder auf denen durch wilde Tiere Gefahr droht. Gehen wir ernsthaft voran, Kinder! Wir müssen uns den Dingen Gottes und der Seelen mit demselben Einsatz widmen, den die anderen auf die Angelegenheiten der Erde verwenden: mit einem großen Verlangen, heilig zu werden« (Jetzt am Jahresbeginn, 68).

Die Demut des Lehms

Man kann auch von einer »Askese des Lehms, des Tons« sprechen, weil der heilige Josemaría diese Begriffe häufig in Verbindung mit geistlichen Inhalten verwendete: Demut, Fügsamkeit, Kenntnis seiner eigenen Zerbrechlichkeit, Möglichkeit des Wiederaufstehens nach einem Fall – wie ein zerbrochener Tonkrug mit Klammern erneut gekittet – usw.

In Anlehnung an das Neue Testament nimmt der heilige Josemaría das Tongefäß als Bild für die Demut: »Und damit ihr nie eine Überraschung erlebt, will ich euch mit dem heiligen Paulus daran erinnern, dass wir diesen Schatz in irdenen Gefäßen tragen: ›habemus autem thesaurum istum in vasis fictilibus‹ (2 Kor 4, 7). Das Gefäß ist so schwach, dass es leicht zerbricht (…). Wir müssen dafür sorgen, dass das Gefäß heil bleibt, damit diese göttliche Essenz nicht verschüttet wird« (Die Essenz der Weisheit, 95). Wenn der Ton im Ofen gebrannt ist, erhält er eine große Konsistenz. Doch diese Härte birgt eine starke Zerbrechlichkeit in sich. Der geistliche Kampf soll diese Gefahr verhindern, indem er zu Wachsamkeit führt. Und falls der Ton trotz allem doch einmal zerbricht, soll man sich daran erinnern, dass er gekittet werden und auf diese Weise doch noch für etwas nützlich sein kann.

Unter den Mitteln, die Gott uns gibt, um unserer Zerbrechlichkeit Abhilfe zu schaffen, ist in erster Linie die Beichte zu nennen: »Kinder, hört auf euren Vater: Es gibt keinen besseren Akt der Reue und der Genugtuung als eine gute Beichte. Dort empfangen wir die Stärke, die wir brauchen, um zu kämpfen, obwohl unsere armen Füße aus Ton sind« (Zeit der Sühne, 86).

Für den heiligen Josemaría ist die Sühne produktiv, da sie die beiden Extreme der Unfruchtbarkeit, zu denen der Stolz führt, vermeidet: angesichts der eigenen Schwächen mutlos zu werden oder sich der Erfolge zu rühmen: »Denn auf diese Weise merken wir, dass alles Große, das der Herr durch unser Elend wirken möchte, sein Werk ist. (…) Wir dürfen uns also nicht wundern (…), wenn wir die Aufwallung der Leidenschaften spüren. Es ist logisch, dass das passiert, wir sind nicht wie eine Mauer. Ebensowenig darf es uns erstaunen, wenn der Herr durch unsere Hände Wunderbares vollbringt, denn das ist auch etwas Normales« (Jetzt am Jahresbeginn, 69).

Bildung und brüderliche Liebe

Unter den Themen, die der heilige Josemaría intensiver behandelt, finden sich auch die Notwendigkeit der Ausbildung und die brüderliche Liebe, beides Themen, die für seine Zuhörer – Studenten des Römischen Kollegs – besonders wichtig sind. In der ersten Betrachtung des vorliegenden Bandes aus dem Jahr 1954 macht der Gründer deutlich, warum die doktrinelle Bildung im Opus Dei absolut notwendig ist: »Die Ziele, die wir uns gemeinsam vornehmen, sind die Heiligkeit und das Apostolat. Um diese Ziele erreichen zu können, benötigen wir vor allem Bildung, für unsere Heiligkeit genauso wie für das Apostolat. Und für diese Bildung brauchen wir Zeit, den passenden Ort, die passenden Mittel. Erwarten wir keine außergewöhnlichen Erleuchtungen von Gott, die Er uns aus keinem Grund zu gewähren braucht; Er gibt uns menschliche Mittel an die Hand, die konkret sind und uns selber zum Handeln befähigen, wie das Studium und die Arbeit. Man muss sich bilden, man muss studieren. Auf diese Weise bereitet ihr euch auf eure Heiligkeit vor, für jetzt und für später, und auf das Apostolat, das die Menschen konkret in den Blick nimmt« (Leben zur Ehre Gottes, 3).

Im Zusammenhang mit dem Leben im Opus Dei spricht der heilige Josemaría häufig über das große Verständnis, das man haben soll, und die Liebe, die echte familiäre Zuneigung zwischen den Mitgliedern des Werkes sein soll: »Versteht einander, entschuldigt einander, liebt einander. (…) Fühlt euch nie allein, sondern stets getragen. Dann werdet ihr immer standhaft bleiben: die Füße auf dem Boden und das Herz dort oben, um imstande zu sein, euch für das Gute zu entscheiden« (In Gottes Händen, 79).

Diese sowohl menschliche als auch übernatürliche Nächstenliebe soll sich auf alle ausdehnen, auch auf diejenigen, die von der Kirche oder der Glaubenspraxis weit entfernt zu sein scheinen: »Meine Kinder, liebt alle Menschen. (…) Aber was die Personen anlangt, die im Irrtum sind, so gilt es, mittels der Freundschaft zu versuchen, sie aus ihm zu befreien. Man muss mit ihnen herzlich und mit Freude umgehen (Leben zur Ehre Gottes, 6).

Notas
1

Salvador Bernal, Msgr. Josemaría Escrivá de Balaguer. Aufzeichnungen über den Gründer des Opus Dei, Köln 1978, S. 251.

2

Gespräche mit Msgr. Escrivá de Balaguer, 4. Aufl., Köln 1992, Nr. 72; siehe auch Nr. 26 und 47.

3

Alvaro del Portillo, Über den Gründer des Opus Dei. Ein Gespräch mit Cesare Cavalleri, Köln 1996, S. 140.

4

Ebd., S. 138.

5

In Freunde Gottes schreibt der heilige Josemaría: »Jeder von euch kann, wenn er nur will, seinen eigenen Weg finden, um das Gespräch mit Gott zu führen. Ich spreche nicht gern von Methoden und Formeln, denn ich möchte niemanden in ein Korsett zwängen« (Nr. 249).

6

Es ist stets dasselbe Gebet. Es lautet: »Mein Herr und mein Gott, ich glaube fest, dass Du hier zugegen bist, dass Du mich siehst, dass Du mich hörst. Ich bete Dich in tiefer Ehrfurcht an. Ich bitte Dich um Verzeihung für meine Sünden und um die Gnade, diese Zeit des Gebetes so zu halten, dass sie mir Frucht bringt. Maria, meine unbefleckte Mutter, heiliger Josef, mein Vater und Herr, mein Schutzengel, bittet für mich.«

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