Mit mehr Dringlichkeit beten
An Heiligabend 1969 richtete der heilige Josemaría diese Worte in einem Beisammensein an die Studenten des Römischen Kollegs. Zu Beginn des Beisammenseins war das Weihnachtslied Madre en la puerta hay un niño gesungen worden. In einer seiner Strophen findet sich dieser Vers, dass Jesus auf die Welt kam, um zu leiden.
Ich werde bald wieder diese Erde verlassen müssen; deshalb möchte ich euch zuvor noch ein paar Worte sagen. Seht, wie anmutig das Jesuskind ist, es ist ganz wehrlos.
Einige von euch haben gesungen, dass es auf die Welt kam, um zu leiden, und ich sage euch: um zu leiden und um die Leiden der anderen zu vermeiden. Jesus wusste, dass er für das Kreuz gekommen war, und dennoch gibt es heute Theorien einer falschen Askese, die vom Herrn spricht, als ob er wütend am Kreuz hinge und den Menschen sagte: Ich bin hier am Kreuz, und deshalb nagle ich auch euch an ihm fest. Nein!, meine Kinder. Der Herr hat seine Arme mit der Geste des ewigen Priesters ausgebreitet. Er hat sich ans Holz des Kreuzes heften lassen, damit wir nicht leiden müssen, damit unsere Leiden leichter werden, ja sogar froh und liebenswert.
Auf dieser Erde sind Leid und Liebe voneinander nicht zu trennen. In diesem Leben muss man mit dem Kreuz rechnen. Wer nicht mit dem Kreuz rechnet, ist kein Christ. Wer nicht mit dem Kreuz rechnet, wird ihm trotzdem begegnen und im Kreuz außerdem die Verzweiflung finden. Wenn ihr mit dem Kreuz rechnet, mit Jesus Christus am Kreuz, könnt ihr sicher sein, dass ihr in den härtesten Situationen, die kommen können, nicht allein seid und dass ihr glücklich, sicher und stark sein werdet. Aber dazu müsst ihr beschauliche Seelen sein.
Ihr, meine Kinder, und ich, wir müssen in der Welt, mitten auf der Straße, in unserer beruflichen Arbeit, jeder in der seinen, beschauliche Seelen sein, Seelen, die beständig mit dem Herrn sprechen, ob nun etwas Gutes oder etwas scheinbar Schlechtes geschieht; denn einem Sohn Gottes gereicht alles zum Guten. Den Leuten erscheint alles übermäßig schwer, sobald Dinge kommen, die nicht gut sind. Wenn wir mit Jesus Umgang haben, wenn wir mit Jesus Christus, unserem Herrn und unserer Liebe, innig befreundet sind, dann gibt es für uns keine Widrigkeiten und keine schlechten Ereignisse: omnia in bonum! 1
Mit Christus innig befreundet sein bedeutet, Seelen des Gebetes zu sein. Ihr müsst lernen, mit dem Herrn vom Morgen bis zum Abend Umgang zu pflegen. Ihr müsst lernen, während des ganzen Tages zu beten. Ihr werdet sehen, welchen Trost das gibt, welche Freude und wie gut es euch gehen wird! Außerdem will Er es so. Ich habe da in meinem Kalender einige Texte der Schrift, die ich oft zu lesen und zu betrachten pflege. Ich hätte gern, dass ihr das auch tut. Denn wenn ich euch sage, dass es angezeigt ist, mit unserem Herrn im Gebet Umgang zu pflegen, dann ist das von Bedeutung: Ich bin ein alter Priester, fast siebzig Jahre alt. Außerdem bin ich der Vater, den Gott für euch auf Erden hier in dieser großen Familie des Werkes ausgewählt hat. Ich liebe euch aus ganzer Seele, ich kann euch nicht einfach irgend etwas sagen … Vor allem aber, seht: Nicht nur ich sage euch das; es ist der Herr selbst, der es sagt.
»Et omnia quaecumque petieritis in oratione credentes accipietis.«2 Das schreibt der heilige Matthäus: Alles, um was ihr mich im Gebet voll Glauben bittet, werdet ihr erhalten. Und wir brauchen vieles. Diese Familie des Opus Dei, die sich über die ganze Welt ausgebreitet hat, braucht viel Segen Gottes im kommenden Jahr. Wir wollen aus ganzer Seele und voll Glauben bitten. Jeder für sich wird dem Herrn liebevoll in der vertrauten Einsamkeit des Herzens sagen: Jesus, wir wollen dies … Ihr sagt: Wir wollen, was der Vater will, und so seid ihr schneller fertig, nicht wahr? Denn ich will außerdem, was Er will. So steht Er unter großem Druck.
»Iterum dico vobis«, so sagt uns der heilige Matthäus, »quia, si duo ex vobis consenserint super terram, de omni re quamcumque petierint fiet illis a Patre meo qui in caelis est.«3 Es genügt, dass zwei sich auf eine Bitte einigen – und wir sind Tausende, die um dasselbe bitten. Wie sicher müssen wir uns unserer Sache sein! Wie sicher ist unsere Hoffnung! Eine wahrhaft göttliche, übernatürliche Hoffnung, denn sie stützt sich auf die Liebe, auf den Glauben und auf die Worte Jesu selbst.
Er erklärt, dass unser Vater im Himmel uns geben wird, was wir von Ihm erbitten. Diese unsere Familie fühlt sich auf der Welt mit dem himmlischen Vater aufs innigste verbunden. Wir haben einen Vater, und wir spüren unentwegt die Gotteskindschaft. Nicht ich habe das so gewollt, sondern Er. Ich könnte euch sogar sagen, wann und wo das gewesen ist, dieses erste Gebet als Sohn Gottes.
Schon als Kind habe ich im Vaterunser gelernt, Vater zu sagen. Aber diesen Willen Gottes, dass wir seine Kinder sind, zu spüren, zu sehen, zu bewundern … das war auf der Straße und in einer Straßenbahn – eine Stunde lang, eineinhalb Stunden lang, ich weiß es nicht … Und Abba, Pater! musste ich rufen.
Im Evangelium gibt es ein paar wunderbare Worte; alle sind wunderbar: »Niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.«4 An jenem Tag hat Er auf eindeutige, klare, bestimmte Weise gewollt, dass ihr euch mit mir immer als Kinder Gottes fühlt, Kinder dieses Vaters, der im Himmel ist und uns geben wird, worum wir Ihn im Namen seines Sohnes bitten.
Meine Kinder, »omnia quaecumque orantes petitis, credite quia accipietis, et evenient vobis«5. So schreibt der heilige Markus: Alles, was ihr im Gebet erbittet, alles!, glaubt, dass es euch gegeben wird. Wir wollen gemeinsam bitten! Und wie bittet man Gott, unseren Herrn? So wie man eine Mutter bittet, wie man einen Bruder bittet: manchmal durch einen Blick, andere Male durch eine Geste, andere Male wieder durch unser gutes Verhalten, damit sie zufrieden sind und unsere Liebe merken, andere Male mit Worten. Also so, betet so. Alle Arten, uns mit einer anderen Person zu verständigen, müssen wir einsetzen, um zu beten und mit Gott Umgang zu pflegen.
Der heilige Lukas schreibt: »omnis enim qui petit accipit, et qui quaerit invenit, et pulsanti aperietur«6. Jeden, der um etwas bittet, erhört der Herr. Aber wir müssen voll Glauben bitten, wie ich zuvor schon gesagt habe, und das umso mehr, wenn wir wenigstens zwei sind, und hier sind wir so viele Tausend.
»Si quid petieritis Patrem in nomine meo, dabit vobis«7. Das ist vom heiligen Johannes: Wenn ihr den Vater um irgendetwas in meinem Namen bittet, so wird Er es euch geben; im Namen Jesu. Wenn ihr Ihn jeden Tag in der Eucharistie empfangt, so sagt Ihm: Herr, in Deinem Namen bitte ich den Vater … Und ihr bittet um all das, was angebracht ist, damit wir der Kirche Gottes besser dienen und besser für die Ehre des Herrn arbeiten können, für die des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, für die der Heiligsten Dreifaltigkeit, die ein einziger Gott ist.
»Petite et accipietis, ut gaudium vestrum sit plenum«8: Bittet, und ihr werdet empfangen und von Freude erfüllt sein. Dieses gaudium cum pace, um das wir jeden Tag in den Preces(a) bitten, ist im Leben eines Sohnes Gottes mit seinen Kämpfen, kleinen Dummheiten und Irrtümern Wirklichkeit, wenn er sich nur dem Herrn gegenüber so verhält, wie es sich gehört, weil er Ihn liebt und gernhat. Ich begehe so viele Irrtümer, da werdet auch ihr den einen oder anderen begehen. Diesem meinem Sohn wird Er unvermeidlich geben, worum er Ihn bittet, und außerdem wird Er ihm eine Freude schenken, die nichts auf der Erde aus seinem Herzen reißen kann.
Mehr also: mehr Umgang und mehr Vereinigung mit Gott. Ich lese euch ein paar Worte vor, die gleichfalls vom heiligen Johannes stammen, vom Apostel also, der, menschlich gesprochen, Jesus Christus am besten gekannt hat. »Si manseritis in me, et verba mea in vobis manserint, quodcumque volueritis petetis, et fiet vobis«9. Wenn ihr mit mir vereint bleibt und wenn meine Worte, meine Lehre in euch ist, so bittet um was ihr wollt, und es wird euch gegeben werden.
Diese Einheit mit Jesus, dieser Umgang, dieses In-Christus-Bleiben muss uns also eine vollkommene Sicherheit geben. Ich habe sie, meine Kinder. Denn die Worte, die ich für euch kommentiere – vorhin habe ich euch das schon gesagt –, dienen mir für meine Betrachtung und dazu, mich in den Augenblicken, in denen man kämpfen muss, mit Freude zu erfüllen.
Weil mir diese Nahrung so guttut, will ich sie auch euch geben. Ich möchte, dass ihr euch darüber absolut sicher seid, dass das Gebet allmächtig ist. Bittet viel, durch die brüderliche Liebe eng miteinander verbunden. Bittet außerdem, indem ihr das Anliegen des Vaters hineinbringt, das, worum der Vater in der Messe betet, worum er den Herrn unaufhörlich bittet. Unaufhörlich, habe ich gesagt, und ich nehme es nicht zurück. Sogar in diesem Augenblick bitte ich und rede nicht nur mit euch. Ich spreche mit Gott, unserem Herrn, und ich bitte Ihn um so vieles, was für die Kirche und für das Werk notwendig ist. Ich bitte Ihn, Er möge gewisse Behinderungen beseitigen, die man uns anzunehmen zwang, als wir nach Rom kamen. Macht euch deshalb keine Sorgen, aber ihr wisst es schon: Mich interessieren die Gelübde nicht, und sie haben mich nie interessiert: ni los votos, ni las botas, ni los botones, ni los botines.(b)
Bittet auch um den Frieden auf der Welt: dass es keine Kriege gibt, dass Kriege und Hass ein Ende nehmen. Bittet um den sozialen Frieden: dass es keinen Klassenhass gibt, sich die Leute gernhaben; dass sie es verstehen, miteinander auszukommen, und lernen, sich zu entschuldigen und zu verzeihen, denn sonst sehe ich nirgends die Liebe Christi.
Meine Kinder, bitten wir genau darum Maria, die seligste Jungfrau. Wenn ihr nicht wisst, was ihr dem Herrn sagen sollt, vielleicht nicht einmal wiederholen könnt, was ich euch gerade auf diese Weise wie in einem Gespräch im Familienkreis sage, dann wendet euch an die Jungfrau: Meine Mutter, du bist die Mutter Gottes, sag mir, was ich Ihm sagen soll und wie ich es Ihm sagen soll, damit Er mich erhört. Und die gebenedeite Jungfrau, die auch unsere Mutter ist, wird euch orientieren, wird euch das Rechte eingeben. So werden wir immer sehr gut beten, und ihr werdet beschaulich leben.
Mk 11, 24.
Lk 11, 10.
Joh 16, 23.
Joh 16, 24.
(a) „Preces“ ist ein kurzes Gebet, das aus Worten der Heiligen Schrift zusammengestellt ist und von allen Gläubigen der Prälatur täglich gesprochen wird.
Text gedruckt bei https://escriva.org/de/en-dialogo-con-el-se%C3%B1or/mit-mehr-dringlichkeit-beten/ (17.10.2025)