Zeit der Danksagung

Aus den Themen, über die der heilige Josemaría bei verschiedenen Gelegenheiten in der Weihnachtszeit 1972 gesprochen hatte, stellte er diesen Text zusammen.


»Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist Christus, der Herr.«1 Meine Töchter und Söhne, an diesem Weihnachtsfest haben wir uns erneut zum Jesuskind begeben, ermutigt durch Maria, seine und unsere Mutter, und begleitet vom glorreichen heiligen Josef, den ich so sehr liebe. Wenn wir an die Jahrhunderte denken, die vergangen sind, seit Er unser Fleisch annehmen wollte, müssen wir uns schämen, denn es gibt so viele, die Christus noch nicht kennen, ja seine Gebote sogar verachten. Und das nicht allein in fernen Ländern, sondern in den wenigen Nationen, die sich christlich nennen, und in der Kirche Christi selbst, in der katholischen, römischen Kirche.

Aber Weihnachten ist kein Tag zum Trauern. »Fürchtet euch nicht«, sagte der Engel zu den Hirten, »denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll«2. Diese wunderbaren Feste des Herrn und unserer heiligen Mutter Maria, der immerwährenden Jungfrau, sind für uns eine sehr große Freude. Das müssten sie für alle Christen sein, aber jetzt scheinen sie leider vielerorts heidnische Feste zu sein. Es ist das Resultat einer massiven Propaganda, um die Gesellschaft zu entchristlichen. Wir müssen uns um Geduld bemühen, Kinder, damit wir nicht den Frieden verlieren; und gleichzeitig Ungeduld, indem wir den Herrn bitten, dass Er all diesen Übeln ein Ende setzt. Deshalb werden wir unser Gebet beginnen und beenden wie immer: mit größerer Gelassenheit, mit mehr Optimismus, mit einem neuen Lächeln auf den Lippen, mit erneuerter Freude im Herzen und mit dem festen Vorsatz, jeden Tag heiliger zu sein.

Trotzdem schmerzt es uns sehr, meine Töchter und Söhne, wenn wir sehen, wie innerhalb der Kirche schreckliche Kampagnen gegen die Gerechtigkeit betrieben werden, die notwendigerweise den Mangel an Frieden in der Gesellschaft weiter steigern, weil es keinen Frieden in den Gewissen gibt. Man betrügt die Seelen. Man spricht zu ihnen von einer Befreiung, die nicht die Befreiung Christi ist. Die Lehren Christi, seine Bergpredigt, die Seligpreisungen, die ein Gedicht der göttlichen Liebe sind, kennt man nicht. Man sucht nur eine irdische Glückseligkeit, die auf dieser Welt unerreichbar ist.

Die Seele, meine Kinder, ist für die Ewigkeit geschaffen worden. Hier sind wir nur vorübergehend. Macht euch keine Illusionen: Der Schmerz wird ein unzertrennlicher Weggefährte sein. Wer einzig darauf aus ist, nicht zu leiden, wird scheitern. Und vielleicht erreicht er dabei einzig, eigenen und fremden Verdruss zu vermehren. Keiner hat es gern, dass Menschen leiden. Es ist eine Pflicht der Liebe, sich nach seinen Möglichkeiten anzustrengen, die Leiden des Nächsten zu lindern. Aber der Christ muss es auch wagen zu sagen, dass der Schmerz eine Quelle des Segens, des Guten, der Stärke ist; dass er ein Beweis der Liebe Gottes ist; dass er Feuer ist, das uns reinigt und auf das ewige Glück vorbereitet. Ist das nicht das Zeichen, das uns der Engel gegeben hat, damit wir Jesus finden? »Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.«3

Wenn man das Leid annimmt, wie der Herr in Bethlehem und am Kreuz, und wenn man begreift, dass es eine Bekundung der Güte Gottes ist, seines erlösenden und erhabenen Willens, dann ist es nicht einmal mehr ein Kreuz, oder es ist jedenfalls das Kreuz Christi, das nicht schwer ist, weil Er selbst es trägt. »Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert.«4 Aber heute vergisst man diese Worte. »Denn viele – von denen ich oft zu euch gesprochen habe, doch jetzt unter Tränen spreche – leben als Feinde des Kreuzes Christi«5, indem sie scheußliche Kampagnen gegen Ihn, seine Lehre und seine Sakramente organisieren. Es gibt viele, die den Seinsgrund der Kirche ändern möchten, um aus ihr eine Institution mit zeitlichen Zielen zu machen, die anthropozentrisch ist, mit dem Menschen als dem hochmütigen Gipfel aller Dinge.

Weihnachten erinnert uns daran, dass der Herr Anfang, Ende und Mittelpunkt der Schöpfung ist: »Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.«6 Es ist Christus, meine Töchter und Söhne, der alle Geschöpfe an sich zieht: »Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist.«7 Durch seine Fleischwerdung, als Er kam, um unter uns zu wohnen8, hat Er uns gezeigt, dass wir nicht leben, um eine zeitliche, vergängliche Glückseligkeit zu suchen. Wir sind da, um die ewige Glückseligkeit zu erlangen, indem wir seinen Spuren folgen. Das wird uns nur gelingen, wenn wir von Ihm lernen.

Die Kirche war immer theozentrisch. Ihre Aufgabe besteht darin zu erreichen, dass alle geschaffenen Dinge durch Jesus Christus auf Gott als ihr Ziel hinstreben. »Er ist das Haupt, der Leib aber ist die Kirche. Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten; so hat Er in allem den Vorrang. Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in Ihm wohnen, um durch Ihn alles auf Ihn hin zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.«9 Wir wollen Ihn auf den Thron erheben, nicht nur in unseren Herzen und in unserem Tun, sondern – durch unseren Wunsch und die apostolische Arbeit – hoch oben in allen Tätigkeiten der Menschen.

Rührt es euch nicht, Jesus Christus als Neugeborenen zu betrachten, wehrlos, unseres Schutzes und unserer Hilfe bedürftig? Merkt ihr nicht, dass Er darum bettelt, dass wir Ihn lieben? Diese Gedanken sind keine dummen Hirngespinste, sondern Beweis dafür, dass wir Jesus Christus von ganzem Herzen lieben und Ihm dafür danken, dass Er sich entschlossen hat, unser Fleisch anzunehmen. Gott hat sich nicht als Mensch verkleidet: Er ist Fleisch geworden. »Perfectus Deus, perfectus Homo!«10

Am Kopfende meines Bettes ließ ich vor vielen Jahren Fliesen mit folgendem Text anbringen: Iesus Christus, Deus Homo: Jesus Christus, Gott und Mensch. Denn es rührt mich an zu wissen, dass Er einen Leib hat, der jetzt verklärt ist, aber aus Fleisch wie das unsere; dass der Herr alle menschlichen Nöte und Schmerzen erlitten hat, ausgenommen die Sünde11; dass Er Hunger und Durst litt; dass Er die Hitze erfahren hat wie eines Mittags am Brunnen von Sychar und vor Kälte fror in der Nacht von Bethlehem. All das hat uns, euch und mich, verliebt gemacht und uns bewogen, alles zu verlassen, relictis omnibus12, wie die Apostel, und zwar festinantes13 – eilends – wie die Hirten. Man muss sich auf den Weg machen, meine Töchter und Söhne, und diesen unseren Jesus nachahmen, der sich hingegeben hat und sich weiter täglich auf dem Altar hingibt, indem Er das göttliche Opfer von Kalvaria verewigt.

Jesus Christus besitzt, »weil Er auf ewig bleibt, ein unvergängliches Priestertum«14. Seine priesterliche Mittlerschaft verwirklicht sich durch uns Priester, die wir am Altar ipse Christus sind. Bei der Feier der Heiligen Messe stehe ich nicht irgendeiner Versammlung vor, sondern ich erneuere in persona Christi das Opfer des Kreuzes.

Was sollen wir von Jesus Christus in der Behausung von Bethlehem lernen, wo Er schutzlos geboren wurde? Was sollen wir denken von jener anderen Behausung, die der Tabernakel ist, wo Er uns noch wehrloser erwartet? Tut es euch nicht weh, dass man Ihn in einen Winkel stellt, dass man Ihm – auch physisch – den Rücken kehrt, dass man Ihn missachtet, Ihn misshandelt? Also schaut, meine Töchter und Söhne, ich wiederhole, was ich euch schon bei anderen Gelegenheiten in Erinnerung gerufen habe und was die Christen durch Jahrhunderte gelebt haben: Jesus Christus, unser Herr, hat mit euch und mit mir rechnen wollen, damit wir miterlösen. Er will sich eures Verstandes und eures Herzens bedienen, eurer Rede und eurer Arme. Der wehrlose Christus ruft uns in Erinnerung, dass die Erlösung auch von uns abhängt.

»Lasst uns nach Bethlehem gehen, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr kundgetan hat!«15 Kinder, wir sind in einem günstigen Augenblick hier, denn wir erleben – gerade jetzt – eine sehr schlechte Nacht für die Seelen. Eine Nacht, in der die großen Leuchten, die Licht spenden sollten, Dunkelheit verbreiten; in der jene, die Salz sein sollten, um die Welt vor der Verderbnis zu bewahren, sich als schal erweisen und manchmal als offensichtlich verfault.

Es ist unmöglich, diese Übel zu betrachten, ohne darunter zu leiden. Aber ich bin sicher, Töchter und Söhne meiner Seele, dass wir mit der Hilfe Gottes imstande sein werden, reichen Nutzen und fruchtbaren Frieden daraus zu gewinnen, weil wir im Gebet und in der Buße beharrlich sein werden, weil wir eine größere Gewissheit haben werden, dass alles in Ordnung kommen wird. Weil wir den Vorsatz bestärken werden, mit der Fügsamkeit guter Werkzeuge treu zu sein. Weil wir aus dieser Weihnacht lernen werden, nicht von dem Weg abzuweichen, den uns der Herr in Bethlehem zeigt: den der wahren Demut ohne Absonderlichkeiten. Demütig sein bedeutet nämlich nicht, schmutzig oder vernachlässigt herumzulaufen, noch gleichgültig zu bleiben gegenüber allem, was rings um uns geschieht, indem wir ständig Rechte preisgeben. Noch weniger heißt es, dumme Behauptungen über uns auszuposaunen. Demut kann nicht sein, wo Theater und Heuchelei ist, denn Demut ist Wahrheit.

Ohne unsere Zustimmung, ohne unser Wollen kann uns Gott, unser Herr, trotz seiner grenzenlosen Güte nicht heiligen und nicht retten. Mehr noch: Ohne Ihn werden auch wir rein gar nichts, was von Nutzen ist, zuwegebringen. So wie man von einem Feld sagt, dass es etwas Bestimmtes hervorbringt, von anderen Feldern aber, dass sie anderes hervorbringen, so kann man von einer Seele sagen, dass sie heilig ist, und von einer anderen, dass sie viele gute Werke vollbracht hat. In Wahrheit freilich »ist niemand gut außer der eine Gott«16. Er ist es, der das Feld fruchtbar macht, der dem Samen die Möglichkeit gibt, sich zu vervielfältigen, und der einem scheinbar dürren Pflock die Kraft schenkt, Wurzeln zu schlagen. Er ist es, der die menschliche Natur mit seiner Gnade gesegnet und ihr so die Möglichkeit gegeben hat, sich christlich zu verhalten und auf eine Weise zu leben, dass wir glücklich sind, indem wir in Erwartung des künftigen Lebens, das Glückseligkeit und Liebe für immer bedeutet, kämpfen. Demut, Kinder, heißt zu wissen: »So ist weder der etwas, der pflanzt, noch der, der begießt, sondern nur Gott, der wachsen lässt.«17

Was lehrt uns der Herr aller Dinge, der Herrscher über das Universum? In diesen Weihnachtstagen besingen die Lieder aller Länder, mögen sie von mehr oder weniger christlichem Gehalt sein, den König der Könige, der schon gekommen ist. Und wie zeigt sich seine Königswürde? Er liegt in einer Krippe! Er hat nicht einmal die paar Dinge, mit denen wir das Jesuskind voller Liebe in unseren Kapellen bedenken. In Bethlehem fehlt unserem Schöpfer alles: so groß ist seine Demut!

So wie man die Nahrungsmittel mit Salz würzt, damit sie nicht geschmacklos sind, so muss es in unserem Leben immer die Demut geben. Meine Töchter und Söhne, dieser Vergleich ist nicht von mir, die geistlichen Autoren verwenden ihn seit vier Jahrhunderten: Macht es nicht wie jene Hühner, die – kaum, dass sie ein Ei gelegt haben – gackernd durch das ganze Haus laufen. Man muss arbeiten, die intellektuelle oder manuelle, aber immer apostolische Arbeit ausführen mit großzügigen Wünschen und Zielen – der Herr wird sie Wirklichkeit werden lassen –, Gott zu dienen und unbemerkt zu bleiben.

Kinder, lernen wir nach und nach von Jesus, unserem Meister, indem wir Ihn als Neugeborenes in den Armen seiner Mutter und unter dem beschützenden Blick Josefs betrachten. Josef ist so sehr ein Mann Gottes, dass er vom Herrn dazu ausersehen wurde, Ihm auf Erden Vater zu sein. Mit seinem Blick, mit seiner Arbeit, mit seinen menschlichen Mitteln verteidigt er das Leben des Neugeborenen.

In diesen Zeiten, in denen man Jesus Christus so oft von neuem kreuzigt, unter diesen Umständen, in denen es scheint, dass die alten christlichen Völker den Glauben verlieren, von der Spitze bis zur Basis, wie einige sagen, in diesen Zeiten müssen wir, ihr und ich, uns sehr darum bemühen, Josef in seiner Demut und auch in seiner Wirksamkeit ähnlich zu werden. Erfüllt es euch nicht mit Freude, wenn ihr daran denkt, dass wir unseren Herrn, unseren Gott gewissermaßen beschützen dürfen?

Ich bin sicher, dass der Heilige Geist euch manchmal, gleichsam als Unterpfand für den Lohn, den Er für eure Treue bereithält, sehen lässt, dass ihr gute Frucht bringt. Dann sagt: Ja, Herr, es ist wahr, Du hast erreicht, dass trotz meiner Erbärmlichkeiten inmitten einer solchen Wüste die Frucht gereift ist. Dank sei Dir, Deo gratias!

Andere Male aber ist es vielleicht der Teufel – er macht niemals Urlaub –, der euch versucht, damit ihr euch Verdienste zuschreibt, die nicht eure sind. Wenn ihr merkt, dass in Gedanken und Wünsche, in Worte und Taten und in die Arbeit sich eitle Wohlgefälligkeit einschleicht, alberner Stolz, dann müsst ihr dem Teufel antworten: Ja, ich bringe Frucht, Deo gratias!

Deshalb ist dieses Jahr in besonderer Weise eine Zeit der Danksagung, und ich habe meine Töchter und Söhne mit Worten, die aus der Liturgie genommen sind, angewiesen: »ut in gratiarum semper actione maneamus!«18 Wir sollen immer in einer beständigen Danksagung an Gott leben – für alles: für das, was gut scheint, und für das, was schlecht scheint, für das Süße und für das Bittere, für das Weiße und für das Schwarze, für das Kleine und für das Große, für das Wenige und für das Viele, für das, was zeitlich ist, und für das, was Ewigkeitswert hat. Danken wir unserem Herrn für das, was in diesem Jahr geschehen ist, und in gewisser Weise auch für unsere Treulosigkeiten, weil wir sie erkannt und sie uns dazu geführt haben, Ihn um Verzeihung zu bitten und den Vorsatz zu fassen, der unseren Seelen viel Gutes bringen wird: niemals mehr untreu zu sein.

Wir dürfen keinen anderen Wunsch hegen, als ganz auf Gott ausgerichtet zu sein, seinen Namen unentwegt zu loben und zu verherrlichen und Ihn bei seinem göttlichen Werk der Erlösung zu unterstützen. Dann wird unser ganzer Eifer darin bestehen zu lehren, wie man Jesus Christus kennenlernt und durch Ihn den Vater und den Heiligen Geist; denn wir wissen, dass wir zu Jesus kommen durch Maria und durch den Umgang mit dem heiligen Josef und mit unseren heiligen Schutzengeln.

Schon vor Jahren habe ich euch geschrieben: Sogar die schlechten Früchte, die trockenen Zweige, die herabgefallenen Blätter können, wenn sie am Fuß des Stammes vergraben werden, den Baum, von dem sie herabgefallen sind, kräftigen. Warum haben unsere Irrtümer und Fehler, mit einem Wort unsere Sünden – die wir ja nicht wollen, die wir verabscheuen –, uns nützen können? Weil dann die Reue kam, weil wir uns geschämt und uns vorgenommen haben, uns zu bessern und mit der Gnade Gottes mitzuwirken. Durch die Demut verwandelt sich der Tod in Leben, was Unfruchtbarkeit und Untergang zu verheißen schien, wird zum Triumph und trägt überreiche Frucht.

Jeden Tag lege ich bei der Gabenbereitung der Messe, wenn ich die Heilige Hostie darbringe, alle meine Töchter und Söhne, die krank und in Bedrängnis sind, auf die Patene. Ich füge auch die falschen Sorgen hinzu, die ihr euch manchmal selbst sucht, weil es euch so passt; damit wenigstens der Herr euch diese Dummheiten aus dem Kopf nimmt.

»Als die Engel von ihnen in den Himmel zurückgekehrt waren«, eilten die Hirten nach Bethlehem »und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag«19. Wenn wir uns dem Sohn Gottes nähern, dann gelangen wir zur Überzeugung, dass wir Pygmäen sind neben einem Giganten. Wir fühlen uns ganz klein, gedemütigt, und gleichzeitig übervoll von Liebe zu Gott, unserem Herrn, der, obwohl Er so groß, so unermesslich und unendlich ist, uns zu seinen Kindern gemacht hat. Wir fühlen uns gedrängt, Ihm zu danken: jetzt, im Verlauf dieses Jahres, während des ganzen irdischen Lebens und in der Ewigkeit. Wie schön klingen beim gregorianischen Gesang die Strophen der Präfation! »Vere dignum et iustum est, aequum et salutare, nos tibi semper et ubique gratias agere!«20 Wir sind klein, sehr klein; und Er ist unser allmächtiger und ewiger Vater.

Vergesst nicht, meine Töchter und Söhne, dass die Demut eine so wichtige Tugend ist, dass, wenn sie fehlte, es keine andere gäbe. Ich wiederhole, im inneren Leben ist sie wie das Salz, das alle Speisen würzt. Auch wenn eine Handlung tugendhaft aussieht, wird sie nicht tugendhaft sein, wenn sie Folge des Stolzes, der Eitelkeit, der Dummheit ist; wenn wir sie verrichten, indem wir an uns selbst denken und uns wichtiger nehmen als den Dienst Gottes, das Wohl der Seelen, die Ehre des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Wenn sich die Aufmerksamkeit auf unser eigenes Ich richtet, wenn wir mit der Frage beschäftigt sind, ob man uns loben oder uns kritisieren wird, fügen wir uns großen Schaden zu. Nur Gott darf uns interessieren; und um seinetwillen alle, die wir dem Opus Dei angehören, und alle Seelen der Welt ohne Ausnahme. Also, weg mit dem Ich! Es stört.

Wenn ihr so handelt, meine Töchter und meine Söhne, wie viele Schwierigkeiten werden verschwinden! Wie viele schwere Stunden werdet ihr euch ersparen! Wenn es euch einmal schlecht geht und ihr merkt, dass eure Seele unruhig wird, dann heißt das, dass ihr um euch selbst kreist. Der Herr kam, um zu erlösen, um zu retten, und um nichts anderes hat Er sich gekümmert. Und wir wollen uns darum kümmern, den eigenen Stolz zu nähren?

Wenn du dich selbst zum Mittelpunkt machst, mein Kind, schlägst du nicht nur einen falschen Weg ein, sondern wirst außerdem das christliche Glück in diesem Leben verlieren, das Wohlbefinden und die Freude, die hier nie vollendet sein werden, weil nur im Himmel das Glück vollkommen sein wird.

Ich las in einem alten geistlichen Buch, dass Bäume mit sehr hohen und aufragenden Zweigen unfruchtbar sind. Bäume mit niedrigen, herabhängenden Zweigen hingegen sind voll fester Frucht mit saftigem Fruchtfleisch; und je näher sie dem Boden sind, desto mehr Früchte tragen sie. Kinder, bittet um die Demut, die eine so kostbare Tugend ist. Warum sind wir so dumm? Immer sind wir davon überzeugt, das Unsere sei das Beste; immer sind wir sicher, dass wir im Recht sind. Wie das Wasser ein Stück Zucker durchtränkt, so dringen Eitelkeit und Stolz in die Seele. Wenn ihr glücklich sein wollt, seid demütig. Weist die lügnerischen Einflüsterungen des Teufels zurück, wenn er euch weismachen will, dass ihr bewundernswert seid. Ihr und ich, wir haben begriffen, dass wir leider nur recht wenig wert sind. Aber wenn wir auf Gott, unseren Herrn, bauen, sieht es anders aus. Ihm verdanken wir alles. Erneuern wir unsere Dankbarkeit: ut in gratiarum semper actione maneamus!

Die Danksagung, meine Töchter und Söhne, kommt aus einem heiligen Stolz, der die Demut nicht zerstört und die Seele nicht mit Hochmut erfüllt, weil er sich nur auf die Macht Gottes stützt und aus Liebe besteht, aus Sicherheit im Kampf. Jetzt, da das Jahr beginnt und man die Vorsätze erneuert, in novitate vitae21, das Leben neu zu gestalten, können wir dem Herrn schon für alles danken, was kommen wird, für alles, und besonders für das, was uns weiterhin Schmerz bereiten wird.

Wie bearbeitet man den Stein, der in die Fassade des Gebäudes eingepasst werden soll, um den Bogen zu krönen? Er benötigt eine andere Behandlung als der, der für das Fundament verwendet wird. Man muss ihn gut behauen, mit vielen Meißelschlägen, bis er in Schönheit vollendet ist. Deshalb, Kinder, müssen wir Gott für alle persönlichen Widerwärtigkeiten, für alle Demütigungen danken, für alles, was die Leute schlecht nennen, obwohl es das in Wahrheit gar nicht ist. Für ein Kind Gottes wird es eine Prüfung der göttlichen Liebe sein, die uns vielleicht gut ins rechte Licht stellen will und uns mit sicheren und genauen Schlägen bearbeitet. Wir müssen mit Ihm mitarbeiten, zumindest keinen Widerstand leisten und Ihn gewähren lassen.

Daher kommt es, dass der größte Teil unserer geistlichen Arbeit darin besteht, unser Ich zu erniedrigen, damit der Herr mit seiner Gnade hinzufügt, was Er möchte. Solange die Zeit unseres Lebens währt, ob es nun lang oder kurz ist, werden wir uns nicht über Gott, unseren Vater, beklagen, auch wenn wir das Gefühl haben, gleichsam am Rande eines Abgrunds von Unreinheit, von Eitelkeit, von Torheit zu stehen. Deshalb bestehe ich so auf der persönlichen Demut. Es ist eine herrliche Tugend für die Söhne und Töchter Gottes im Opus Dei.

Wer demütig ist, weiß es nicht und hält sich für stolz. Und wer stolz, eingebildet und töricht ist, betrachtet sich als hervorragend. Das hat kaum eine Lösung, solange man nicht aus dem Leim geht und erlebt, wie man am Boden liegt; ja sogar dort kann man weiter großtun. Auch deswegen brauchen wir die geistliche Begleitung. Von weitem erkennen sie gut, was wir sind: höchstens Steine, die man unten verwenden kann, im Fundament; nicht wie der, der als Schlussstein des Bogens dient.

Ich hoffe, dass in diesen Weihnachtstagen alle meine Töchter und Söhne sich fest vornehmen, demütiger zu sein. Ich kenne euch und ich höre gleichsam schon eure Freude, wenn ihr aufrichtig zugebt, dass ihr nicht die Früchte bringt, die ihr bringen müsstet. Denn ihr werdet euch aufmachen, um euch wirklich beschämt dem Stall von Bethlehem zu nähern, und ihr werdet das Kind für euch und für mich und für viele, viele Menschen um Verzeihung bitten, die jetzt wie der unfruchtbare Feigenbaum sind, beladen mit Blättern, mit äußerem Schein. Und wenn euch der Herr gestattet zu sehen, dass Er sich eurer bedienen möchte, sich eurer schon jetzt oder seit Jahren oder sogar schon seit langer Zeit bedient: in gratiarum semper actione maneamus! Brecht aus in Danksagung zu Gott, unserem Herrn, weil Er uns als seine Werkzeuge ausgesucht hat. Aber dankt Ihm aufrichtig, denn sonst bleibt man nur ein laubreicher Baum, voller Blätter und vielleicht voller Früchte, die aber eitel sind, leer und leichtgewichtig, denn ihretwegen beugen sich die Zweige nicht. Die reifen Früchte mit saftigem, süßem und wohlschmeckendem Fleisch bewirken, dass sich die Zweige des Baumes voll Demut niederneigen.

Mit Danksagungsakten und mit dem Vorsatz, demütiger zu sein, wollen wir uns der Krippe und dem Tabernakel nähern. Jesus wartet auf uns. Sagt Ihm von Herzen Worte der Zuneigung. Erzählt Ihm von euren Schwächen – ich erzähle Ihm von den meinen –, und manchmal wollen wir auch anerkennen, ohne zu gackern, dass wir in der Tat diese oder jene Arbeit ausgeführt haben, dass wir uns angestrengt haben mit viel Freude und mit seiner Gnade, die Er uns durch die Hände seiner heiligsten Mutter, die auch unsere Mutter ist, sendet, denn ohne seine Hilfe vermögen wir nichts.

Das ist die Einstellung, die jene, die mit Seelen arbeiten, mindestens haben sollen. Das Werkzeug behält nie die Früchte. Wenn es etwas Köstliches in unserem Leben gibt, wenn etwas dem Herrn zusagt, wenn es etwas gibt, das bewirkt, dass andere Seelen gerettet werden und wir einen Weg der Liebe gehen, dann verdanken wir das alles Gott, diesem Herrn, der ein Kind hat werden wollen.

Noch ein Wort zum Schluss. Betet weiterhin viel für die Kirche! Liebt die Kirche und den Papst aus ganzer Seele. Vereint euch immer stärker mit den Anliegen meiner Messe, damit wir alle, in Einheit mit Maria, unter dem väterlichen Schutz des heiligen Josef, in ständiger Danksagung gegenüber der Heiligsten Dreifaltigkeit leben, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist.

Anmerkungen
1

Lk 2, 11.

2

Lk 2, 10.

Verzeichnis der Schriftstellen
Anmerkungen
3

Lk 2, 12.

4

Mt 10, 38.

5

Phil 3, 18.

6

Joh 1, 1.

7

Joh 1, 3.

8

Vgl. Joh 1, 14.

9

Kol 1, 18-20.

Verzeichnis der Schriftstellen
Anmerkungen
10

Symbolum Athanasianum.

11

Vgl. Hebr 4, 15.

12

Lk 5, 11.

13

Lk 2, 16

14

Hebr 7, 24.

Verzeichnis der Schriftstellen
Anmerkungen
15

Lk 2, 15.

16

Lk 18, 19.

17

1 Kor 3, 7.

Verzeichnis der Schriftstellen
Anmerkungen
18

Dom. infra oct. Ascens. (Postcom.).

19

Lk 2, 15-16.

20

Ordo Missae, Praef.

Verzeichnis der Schriftstellen
Anmerkungen
21

Röm 6, 4.

Verzeichnis der Schriftstellen
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